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Winterdienst 2.0

Der zielgenaue Umgang mit Daten ist mittlerweile in jeder Branche unumgänglich. Auch Winterdienste könnten mittels digitaler Prognosen und Evaluation künftig Effizienz und Ressourceneinsatz optimieren. Ein kürzlich abgeschlossenes, erstes Praxisprojekt an der FH Kufstein in Tirol hat sich mit der Thematik befasst. 

Text: Erika Hofbauer

Ohne Digitalisierung läuft in Planungs- und Organisationsprozessen kaum mehr was. Ein Studienprojekt an der FH Kufstein beschäftigte sich kürzlich damit, wie Winterdienste basierend auf mit Datensätzen sensorisierten Winterdienstfahrzeugen sowie Wetterdaten optimiert planen können. Mittels Prognosen und ermittelter Zusammenhänge könnten somit detaillierte Rückschlüsse auf den künftigen Salzbedarf in einer Region während der Wintermonate ermöglicht werden. Auftraggeber dieser Forschung war die deutsch-österreichische Data Intelligence Consultancy roosi GmbH. 

Neue Erkenntnisse

Begonnen wurde damit, dass über den gesamten Projektzeitraum Verbrauchsdaten mehrerer Streufahrzeuge aus zwei unterschiedlichen Regionen analysiert wurden. Da nur die Verbrauchs- und Streckendaten zur Verfügung standen, beschaffte sich das Projekt-Team der FH Kufstein die zugehörigen Wetterdaten der Regionen über eine Online-Wetterplattform. Die Analyse der Wetterdaten ermöglichte es, die wichtigsten Korrelationen zwischen dem Streuen der Straßen und dem Wetter zu bestimmen. Zwar lagen zum Zeitpunkt des Projektabschlusses nicht genug Daten vor, um vollständige Ergebnisse für Prognosen und prognostizierte Entscheidungen bzw. Handlungsempfehlungen abzuschließen, heißt es seitens der FH Kufstein. Jedoch können die im Projekt konzipierten und gewonnenen Methoden und Algorithmen als Basis für weitere Analysen mit neuen Daten, die demnächst erhoben werden, herangezogen werden: „Die Modellierung zeigt klar die Möglichkeiten und nächsten Schritte zur qualitätsgesicherten Analyse und Aufbereitung weiterer Datensätze auf. Das Potenzial, aber auch die Herausforderungen sind hoch“, erläutert Projektleiter Lukas Huber. 

Große Herausforderungen

Interesse an Prognosen und prognostizierten Entscheidungen bzw. Handlungsempfehlungen seitens Winterdienst-Anbietern sei sehr stark gefragt, heißt es, unter anderem auch in Kombination Fahrbahn-Sensorik und Winterdienst 2.0. Dennoch bleiben (derzeit) immer ein paar Unsicherheitsfaktoren: Trotz ständig steigender Computer-Rechenleistungen der globalen Wettermodelle sind nach wie vor Vorhersagen über einen Zeitraum von einigen Tagen hinaus wenig verlässlich. Zudem haben regionale Gegebenheiten sehr großen Einfluss auf das tatsächliche Wetter und können mitunter stark von der Großwetterlage abweichen. Das erschwert nicht nur die Prädiktion des Salzverbrauchs, sondern auch die Routenplanung sowie die Überwachung neuralgischer Straßenabschnitte. Oftmals bleibt nur das Abfahren der Strecken und das persönliche Überprüfen. Darüber hinaus werden unter Druck solche Arbeitsabläufe zum echten Härtetest. Durch den Einsatz des Internet der Dinge (IoT) und Methoden aus dem Bereich Data & Analytics lässt sich den Verantwortlichen des Winterdiensts eine sehr gute Lösung an die Hand geben, die Ressourcen spart und besseres Monitoring und Controlling erlaubt, ist man an der FH überzeugt. Denn die Potenziale hinsichtlich Effizienz und optimiertem Ressourceneinsatz seien enorm, wie anhand von Beispielen erläutert wird:

  • Routen- und Personaleinsatzoptimierungen
  • Ressourcenoptimierungen (Salz, Fahrzeuge, Geräte) – Fahrzeugortung und digitales Fuhrparkmanagement, Füllstandüberwachung
  • effizientere Gebietsabdeckung und Reaktion (u.a. CO2 Ausstoß, Sicherheit)
  • Kosteneffizienz (u.a. durch gezielte Ressourcenbeschaffung und Planung)

Die ersten Ergebnisse konnten bereits präsentiert werden und es gelang auch, die umfassende Datenanalyse in eine Webapplikation zu integrieren, um die Erkenntnisse besser vermitteln zu können. Eine weiterführende Nutzung und Optimierung der verfügbaren Daten und Modelle in Zusammenarbeit mit der Kufsteiner Fachhochschule ist bereits in Planung.

Praxissicht

Margherita Kern
Margherita Kern, Geschäftsführerin der LDS Lederer Gebäudereinigung: „Eine Optimierung im Gebrauch ist natürlich immer wünschenswert.“

Wie lautet nun die Einschätzung dieser Erkenntnisse aus Sicht der Anwender? „Der Umgang mit Salz ist immer ein schwieriges Thema. Unser Credo lautet: So wenig wie möglich, so viel wie nötig“, skizziert Margherita Kern, Geschäftsführerin der LDS Lederer Gebäudereinigung, die Ausgangslage, daher: „Eine Optimierung im Gebrauch ist natürlich immer wünschenswert! Inwiefern eine solche zu realisieren ist, ist fraglich. Automatisierte Programme, die den notwendigen Salzbedarf berechnen, sind immer abhängig von den gelieferten Daten. Wetterplattformen, die Vorhersagen über das Wetter geben – wie ZAMG oder UBIMET -, sind enorm wichtig, jedoch erleben wir im Praxisalltag immer wieder, dass sich diese Informationen äußerst kurzfristig ändern können. Des Weiteren herrscht oft in Wien, wo wir hauptsächlich tätig sind, bezirksweise extrem unterschiedliches Wettergeschehen. Dies wird jedoch von den Wetterplattformen gar nicht so genau wiedergegeben.“ Ein hundertprozentiger Verlass auf die gelieferten Informationen von Wetterplattformen wäre fahrlässig und ersetze niemals die notwenigen laufenden Kontrollen, ist Kern überzeugt: „Oft sind es minimale Faktoren wie beispielsweise ein, zwei Grad Temperaturunterschied oder das Einsetzen von Blitzeis, die den Einsatz von Salz nötig machen. Weiters sehen wir auch das Thema der Bodenbeschaffenheit als wichtigen Faktor. Es macht nun mal einen großen Unterschied, ob es sich um eine betonierte Fläche oder einen Kiesweg handelt.“ 

Michael Hackl
Michael Hackl, Bereichsleiter Winterservice & Haustechnik bei Attensam: „In Zukunft wird vermutlich noch viel möglich sein – eventuell sogar fahrerlose Räumfahrzeuge, die Großflächen mittels eines KI-gestützten Programmes räumen.“

Ähnlich sieht dies auch Michael Hackl, Bereichsleiter Winterservice & Haustechnik bei Attensam: „Der Ansatz der Studie, mittels Sensoren und verfügbarer Daten den Ressourceneinsatz im Winterservice zu verbessern, ist gut und kann ebenso in ökologischer Hinsicht sinnvoll sein.“ Aber nur, solang Maschinen zum Einsatz kommen: „Beim händischen Räumen und Streuen, das nach wie vor oft notwendig ist, können diese digitale Hilfsmittel naturgemäß nicht weiterhelfen.“

Robert Kletzander
Robert Kletzander, Prokurist der Hausbetreuung DIMMI: „Für den Straßendienst sind der Einsatz von Messtechnik und die daraus resultierenden Erkenntnisse bestimmt von Vorteil. Die Winterbetreuung von Wohnhausanlagen erfordert eine differenziertere Vorgehensweise.“

Das kann Robert Kletzander, Prokurist der Hausbetreuung DIMMI, nur unterstreichen: „Ich glaube, man muss im Winterdienst grundsätzlich zwischen der Betreuung ganzer Straßenabschnitte und einzelner Liegenschaften unterscheiden. Für den Straßendienst sind der Einsatz von Messtechnik und die daraus resultierenden Erkenntnisse bestimmt von Vorteil. Die Winterbetreuung von Wohnhausanlagen erfordert eine differenziertere Vorgehensweise.“ Für ihn stehe dabei einerseits die richtige Wahl des Streumittels in Abhängigkeit von der Beschaffenheit des Untergrundes im Fokus, aber auch die Schneelagermöglichkeiten werden bei der Organisation des Winterdienstes berücksichtigt. „Neben der Beurteilung von unterschiedlichen Wettermodellen, wie wir das bereits seit Jahrzehnten praktizieren, ist eine persönliche Lagebeurteilung unerlässlich, bevor der Einsatzbefehl erteilt wird“, so Kletzander.

Zukünftige Praxis

Könnte man nun aus diesen ersten Erkenntnissen taugliche Einsatzmöglichkeiten in der Praxis finden? „Die Beschaffung des notwendigen Streumaterials findet bereits vor Beginn der Winterdienstsaison statt. Da jedoch langfristige Prognosen über das Wettergeschehen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegen, kann hier nur auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden“, relativiert LDS-Chefin Kern die Einsatzmöglichkeiten. Aber: „Ich denke, die Ergebnisse der Studie könnten eventuell hilfreich für die Bestimmung der Ressourcen im konkreten Einsatzfall sein.“ Attensam-Bereichsleiter Hackl sieht in der Praxis die Erkenntnisse dieses Projektes wahrscheinlich nicht allzu schwer umsetzbar: „Schon jetzt gibt es bei uns und auch allen anderen Anbietern eine Einsatzsteuerung, die die Aktivitäten und jeweiligen Routen koordiniert – weitere Daten könnten hier noch optimieren.“ Es sei allerdings auch eine Kostenfrage, weil die dementsprechende Aufrüstung der Einsatzfahrzeuge mit Sensoren vermutlich nicht ganz billig sei: „Die Anwendung ist eher für Straßendienste und Kommunalanbieter geeignet, bei der herkömmlichen Hausbetreuung wohl weniger effektiv.“

Potenziale im Winterdienst

Wo liegen generell beim Winterdienst die Potenziale hinsichtlich Effizienz und optimiertem Ressourceneinsatz? LDS-Chefin Kern: „Bei der Planung des Winterdienstes liegt unser Fokus auf der optimalen Planung der Winterdienstrouten. Unnötige Fahrzeiten werden weitgehend vermieden, um einen schnellstmöglichen Einsatz vor Ort gewährleisten zu können. Zu berücksichtigen ist auch, dass – laut Winterdienstverordnung in Wien – der Einsatz von Auftaumitteln im Umkreis von 10 Metern rund um „unversiegelte Flächen“, also etwa Wiesen und Baumscheiben, sowieso weitgehend verboten ist.“ Diese Herangehensweise kann Attensam-Bereichsleiter Hackl bestätigen: „Für einen besseren Ressourceneinsatz ist eine effiziente Verplanung, bei der die kürzesten Routen in digitaler Form verfügbar und einfach zu handhaben sind, wichtig. Ebenso kann die Messung der Bodentemperatur – wie es beispielsweise bereits der Flughafen Wien macht – hilfreich sein: Hier misst ein Sensor, der am Fahrzeug montiert ist, die Fahrbahntemperatur und steuert dadurch die Taumittelmenge. Diese beiden Beispiele sind zwar mit hohen Kosten in der Implementierungsphase verbunden, aber haben einen langfristigen Mehrwert für den Kunden, das jeweilige Unternehmen und die Umwelt.“

Wichtige Themen der Zukunft

Worauf müssen sich Dienstleister beim Winterdienst künftig einstellen? Zunächst will LDS Lederer-Chefin Kern mit einem Irrtum aufräumen: „Vor allem im städtischen Bereich hören wir immer wieder die Aussage, dass es ohnehin in der Stadt kaum mehr schneie und somit Winterdienstfirmen im Winter nichts zu tun hätten. Das ist eindeutig nicht so. Der klassische Winterdienst hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Vor 20 Jahren galt das Hauptaugenmerk noch der Beseitigung von Schneemengen, heutzutage geht es oft „nur“ um die Bekämpfung von Glatteis und überfrorener Nässe.“ Dies stelle haftungstechnisch natürlich ein viel größeres Thema dar, ist Kern überzeugt. Auch die bezirksweise unterschiedliche Wettersituation in Wien berge oft Schwierigkeiten: „Ich sehe es als große Herausforderungen, den Kunden ins Bewusstsein zu rufen, dass Winterdienst mehr ist als nur das Beseitigen von Schneemassen und dass die Beseitigung der Rutschgefahr und die Herstellung der Trittsicherheit eine weniger plakativ sichtbare, aber jedoch sicherlich nicht weniger wichtige Arbeit darstellt.“ Attensam-Experte Hackl kann in Zukunft in der Digitalisierung freilich grundsätzlich noch zahlreiche Chancen für das Winterservice erkennen – vor allem in einer ganz besonderen Hinsicht: „Es wird zunehmend schwieriger, Mitarbeitende für das Schneeräumen und Streuen zu finden. Hier wird in Zukunft vermutlich noch viel möglich sein – eventuell sogar fahrerlose Räumfahrzeuge, die Großflächen mittels eines KI-gestützten Programmes räumen.“


Auftraggeber des Projekts Winterdienst 2.0 an der FH Kufstein ist die deutsch-österreichische Data Intelligence Consultancy roosi GmbH. Zusammen mit den Masterstudierenden des Studiengangs Data Science & Intelligent Analytics wurde ein Teilbereich des übergeordneten Projekts Winterdienst PLUS erarbeitet. Dabei ging es um die Entwicklung einer intelligenten Salzbörse. Hiermit soll einerseits der Salzverbrauch allgemein in Abhängigkeit der Gegebenheiten – die durch z.B. das Wetter und Straßenverhältnisse beeinflusst werden können – der Streufahrzeuge besser vorhergesagt werden können und andererseits der Winterdienst in Hinblick auf Umwelt und Organisation in den Kommunen nachhaltiger werden. Der konkrete Projektauftrag an die Studierenden war die vertiefende Datenanalyse, die Modellierung der Verbrauchsdaten zur zukünftigen Optimierung und die Integration der entstandenen Modelle in die Cloud-Umgebung des Auftraggebers.



„Optimierungspotenziale“

„Winterdienst 2.0“-Projektleiter Lukas Huber, FH Kufstein Tirol, im Kurzinterview.

Der Projektauftrag der deutsch-österreichischen Beratungsgesellschaft roosi Data Intelligence Consultancy roosi GmbH an die FH Kufstein Tirol – „Winterdienst 2.0“ – , umfasste die Modernisierung und Digitalisierung von Winterdiensten. Mittels digitaler Prognosen und Analysen soll zukünftig die Effizienz und der Ressourceneinsatz im Winterdienst optimiert werden. Die Masterstudierenden des Studiengangs Data Science & Intelligent Analytics beschäftigen sich hiermit im Rahmen eines Praxisprojektes. Prof. (FH) Dr. Lukas Huber, an der Kufsteiner Fachhochschule Professor (FH) für Data Science & Intelligent Analytics, begleitet das Projekt seitens der FH gemeinsam mit den Studierenden. 

Worum ging es bei dem Projekt Winterdienst 2.0?

Der konkrete Projektauftrag an unsere Studierenden war die vertiefende Analyse und Modellierung von Fahrtdaten und Verbrauchsdaten zur zukünftigen Optimierung von Winterdiensteinsätzen. Es ging um Fragen wie: Wie kann man den Salz- bzw. Streumittelverbrauch auf lokaler Ebene detailliert vorhersagen, wenn man Metadaten, speziell hochauflösende Wetterdaten, integriert? Und wie weit kann man mit den vorhandenen Vorräten in dem betreffenden Winter noch kommen? Es ging also darum, hier Optimierungspotenziale zu finden. Wobei natürlich das Wetter entscheidend ist, aber nicht allein. Es ist uns vorrangig um Fahrzeuge und deren entsprechende Sensorik gegangen.

Wie kann man aufgrund von etwas Unberechenbarem wie dem Wetter, und sei es auch nicht allein aufgrund dessen, Vorhersagen treffen?

Die statistische Antwort: Man weiß, wie ein durchschnittlicher Winter aussieht. Man kann mit guter Wahrscheinlichkeit vorhersagen, was die maximal und die minimal zu erwartenden Schneemengen sein werden, sodass hier eine relativ gute Annäherungsgröße möglich ist. Es kommt natürlich auch auf den Betrachtungshorizont an. Uns ging es nur darum, den Verbrauch „von morgen“ vorherzusagen. Das war statistisch die Hauptfrage, der wir uns gewidmet haben. Wobei es durchaus Chancen und Möglichkeiten gibt, auch längerfristig gute Vorhersagen zu treffen. Die Daten, die eine Straßenmeisterei hat, müssen stimmen und qualitativ hochwertig sein. Also muss man grundsätzlich überhaupt einmal den Ressourceneinsatz sehen und auf Karten visualisieren, wo die Spots sind, wo man besonders häufig fährt, wo die neuralgischen Punkte sind.

Welches Optimierungspotenzial sehen Sie aufgrund Ihrer Analysen und der entsprechenden Datenaufbereitung?

Ich sehe hier ein sehr hohes Potenzial im Sinne von Optimierung des Verbrauchs bzw. hier noch versteckte Reserven zu finden, sowohl bezüglich Route als auch für den Einsatz der Fahrzeuge. Das größte Potenzial sehe ich darin, dass das System von „erfahrenen“ Routen lernen bzw. profitieren kann, sprich: von Routen, wo man schon genau weiß, in welcher Kurve mehr gestreut werden muss, weil es schattig ist. Wir wollen ja vorhersagen, wo die neuralgischen Punkte wie Brücken oder Kurven, die im Schatten liegen, sind, sodass zum Beispiel auch ein noch unerfahrener Fahrer zumindest irgendwo nachschauen kann, wie es erfahrene Kollegen machen.

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