Stundensatz

„Wenn alles transparent wäre …“

Gespräch  über den Dauerbrenner „Preis“ mit Gerhard Komarek, LIM Wien und Berufsgruppenobmann, und Christoph Guserl, Geschäftsführer der Gebäudereinigungsakademie der Wiener Gebäudereiniger BetriebsgmbH.

Ist der Stundensatz immer noch das entscheidende Kriterium im öffentlichen Einkauf?

Gerhard Komarek
Gerhard Komarek

Komarek: Die Innung stellt den Betrieben und Auftraggebern auf der Homepage www.dfg.at ein Stundenkalkulationstool zur Verfügung. Dieses arbeitet mit den Informationen und Daten der KMU-Forschung Austria. Wenn man das Stundensatzkalkulationstool heranzieht und die wichtigsten Daten, also z.B. Standort Wien, Mitarbeiteranzahl, Behinderte im Betrieb etc. eingibt, werden alle Kopfsteuern – U-Bahnsteuern, Behindertenausgleichstaxe – und andere gesetzliche Abgaben berechnet. Sind die ganzen Daten eingegeben und werden dann 5 % Gewinn und 1,5 % Wagnis berechnet, beträgt der Stundensatz in der Lohngruppe 6 unterm Strich 27,79 Euro. Bei – wie gesagt – nur 1,5 % Wagnis. Und wir wissen, was das bedeutet – speziell in Zeiten der hohen Inflation, der laufenden Kostenerhöhungen bei Chemie, Maschinen und Zubehör. Die Krankenstände haben sich erhöht von 13,76 auf 16,4. Man müsste also mindestens 27,79 Euro als Stundensatz verrechnen, um sagen zu können, dass es ein gutes Geschäft ist. 

Aber ist dieser Stundensatz das Kriterium, nach dem tatsächlich eingekauft wird oder hat es sich verlagert in Richtung ergebnisorientierte Reinigung, Pauschalsätze usw.? Ist der Stundensatz immer noch das zentrale Kriterium?

Komarek: Ja, der Stundensatz ist – auf Grund der Ö-Norm D2050, die auch im Rahmenkollektivvertrag hinterlegt ist – das zentrale Thema. Nur haben wir die Problematik, dass dieser Mindeststundensatz – wahrscheinlich speziell in Wien – bei Großaufträgen nie lukriert wird. 

Guserl: Letztendlich werden von vielen Bietern Preise für Flächen unter Berücksichtigung der maximalen Leistungswerte der ÖNORM D2050 berechnet, wobei hier entsprechend die Stunden kalkuliert werden, sodass es letztendlich wiederum nur zentral um den Stundensatz geht.

Es wird aber sehr oft nicht zu diesen rund 28 Euro eingekauft. Wie geht sich das für die Unternehmen aus? 

Christoph Guserl
Christoph Guserl

Guserl: Die klassische Musterkalkulation der WKO basiert auf sehr allgemeinen Unternehmensdaten der Statistik Austria wie Größe, Umsatz, usw., das bedeutet, es handelt sich um einen vernünftigen Richtwert. Wird das Tool von Unternehmen ausgefüllt unter Berücksichtigung der internen Lohnkosten, Lohnnebenkosten, Krankenstände aus der Sozialversicherung usw. – und wenn man auch noch den Overhead der ganzen Gemeinkosten für diesen Ausschreibungsstundensatz nur anteilig berücksichtigt, kann dieser schon unter 28 Euro sein und die Unternehmen erwirtschaften trotzdem noch einen Gewinn.

Aber kann man dann zum Beispiel bis auf 17 Euro herunterkommen?

Komarek: Nein. Derzeit sieht man am Markt Stundensätze zwischen 22 und 24 Euro – das ist derzeit der Standard bei öffentlichen Ausschreibungen. Und wenn man die Allgemeinkosten nur anteilig berücksichtigt, wird das auch bei Großaufträgen möglich sein.  

Kann es eine andere Lösung geben, wo trotzdem 17-Euro-Stundensätze möglich sind? Zum Beispiel die Variante, einen Auftrag als Referenzobjekt haben zu wollen?

Komarek: Bei einem 17-Euro-Stundensatz gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder die eines sogenannten „Referenzauftrages“, wo man keinen Gewinn und Wagnis kalkuliert und vielleicht auch den Overhead nicht einberechnet, weil man diesen schon in den anderen verkauften Objekten berechnet hat, aber dabei ganz sicher Geld hinträgt. Oder man spekuliert und irgendjemand erleidet einen Schaden. Entweder der Mitarbeiter, weil er nicht dementsprechend bezahlt wird – was eher selten der Fall ist –, oder der Kunde bekommt nicht die Leistung, die er will. Das heißt, jeder, der um 17 Euro einkauft, müsste für sich schon bedenken, dass er die Leistung, die er will, nicht bekommt. Anders wird es nicht möglich sein. 

Ist die Quintessenz also, entweder ich subventioniere als Dienstleister die Leistung, weil ich glaube, mit dieser Referenz einen anderen lukrativen Auftrag zu bekommen, oder eine versprochene Dienstleistung wird nicht erbracht?

Komarek: Wenn ein Anbieter 10 Stunden á 17 Euro kalkuliert, dann aber nur 8 Stunden leistet, kommt er auch auf 21,25 Euro. Das heißt, um daraus ein Geschäft zu machen, kann er nur an der Stundenanzahl drehen. Anders geht es nicht. Natürlich kann man mit großen Maschinen, mit innovativen Techniken, mit ausgebildeten Mitarbeitern oder auch durch Synergien Zeit sparen bzw. die Leistungswerte der Ö-Norm erhöhen und dadurch weniger Stunden brauchen. Aber das ist natürlich nur in einem gewissen eingeschränkten Rahmen möglich.

Guserl: Kurzum, für 17 Euro bekommt der Kunde entweder die versprochene Leistung nicht, oder die Mitarbeiter müssen in kürzerer Zeit dieselbe Fläche bearbeiten. Wodurch die ÖNORM D 2050 dann ausgehebelt und klassisches Lohn- und Sozialdumping betrieben wird.

Uns ist zu Ohren gekommen, dass die MA54, ein öffentlich rechtlicher Einkäufer, die Reinigung irgendwo um die 17 Euro einkauft. Nun ist denen entweder nicht bewusst, dass sie die Dienstleistung unterpreisig einkaufen, oder man weiß es, macht es aber bewusst so, wobei sich dann die Frage stellen würde, warum man nicht weniger Leistung einkauft und so trotzdem einen adäquaten Stundensatz hat …

Guserl: Die MA54 schreibt laut Leistungsverzeichnis eine tägliche Vollreinigung aus, bekommt aber letztendlich um 17 Euro im Reinigungsalltag keine Vollreinigung, sondern lediglich eine Teil- oder Sichtreinigung und anscheinend wissen das einige Anbieter.

Weiß die MA54 das?

Guserl: Ja. Sie macht es, um vergaberechtlich sicher zu sein. Ich glaube, dass die tatsächliche Überprüfung der Qualität in der Vertragslaufzeit nicht auf Basis der Vorgaben geschieht.

Man weiß also, dass man nicht die volle Leistung bekommt? Warum schreibt man dann – noch einmal –, nicht weniger Leistung aus, um im ordnungsgemäßen Bereich zu bleiben?

Komarek: Ich glaube ganz einfach, dass man bewusst günstig einkaufen will. Was immer der Grund ist, der Billigste soll den Auftrag bekommen, mit der Argumentation, dass der Markt selber schuld ist, wenn er so billig anbietet. Nur ist es dann eben so, dass er, der Auftraggeber, die Leistung, die er ausgeschrieben hat, eben nicht bekommt. 

Ist ein 17-Euro-Stundensatz ein Einzelfall?

Komarek: Wir hatten solche Fälle auch früher schon. Hauptsächlich deswegen haben wir zum Beispiel die ÖNORM D 2210 gemacht. Weil es öffentliche Ausschreibungen gab, wo zum Beispiel Teppich-Grundreinigung ausgeschrieben war. Nun gibt es für die Grundreinigung nur drei Methoden – die Extrahier-Methode, die Shampoonier-Methode oder die Kombination von beiden. Das wurde ausgeschrieben und es gab Angebote um, sagen wir, 55 Cent. Bei einer Grundreinigung macht aber das Material schon mehr aus. Was hat der Kunde also dort bekommen? Eine Zwischenreinigung, eine Garnpad-Methode, was aber mit einer Grundreinigung nichts zu tun hat. Und wie soll die ausschreibende Stelle das kontrollieren? 

Deshalb haben wir diese Norm erarbeitet, wo wir die einzelnen Arbeitsschritte der unterschiedlichen Reinigungsarten auflisten, sodass sich auch der Auftraggeber überlegen kann, was sich für das Geld, das er zur Verfügung hat, bekommt. Hat er nur 85 Cent pro Quadratmeter zur Verfügung, dann bekommt er eben nur eine Garnpad-Methode. Für 2 Euro bekommt er hingegen eine Grundreinigung mit Extrahieren und Shampoonieren. Mittlerweile werden solche Sonderreinigungsarbeiten auch entsprechend differenziert ausgeschrieben.

Der Auftraggeber betrügt sich also selber?

Guserl: Zur Ergänzung – die Gemeinde Wien schreibt eine Generalreinigung aus und versteht darunter sowohl den Boden als auch alle Oberflächen. Das heißt, was wir eigentlich in der ÖNORM D 2210 als Generalreinigung und gesondert als Bodengrundreinigung sehen, schreibt Wien als Gesamtpaket aus und hat dort so günstige Preise, dass man eigentlich BEIDE Leistungen nicht erbringen kann. Wir haben hier auch Testreinigungen durchgeführt und kommen bei der Generalreinigung auf einen ungefähren Wert von maximal 30 Prozent der Vollreinigung in der Unterhaltsreinigung. Somit kann es sich um diese Preise gar nicht ausgehen. 

Ist dann einfach zum Beispiel eine Schule in Wien etwas schmutziger? Wer ist der Leidtragende?

Komarek: Es gibt zwei Leidtragende – einmal den, der nicht die Leistung erhält, die ausgeschrieben ist. Und als Zweiten den Reinigungsdienstleister, der ehrlich und ordnungsgemäß anbietet und deshalb NICHT den Auftrag bekommt.  

Guserl: Das Entscheidende ist – es wird eine Vollreinigung mit einem günstigen Stundensatz ausgeschrieben. Letztendlich werden hier Stunden vorgegeben und mit dem Stundensatz multipliziert. Mit der Summe X an Stunden kann sich bei einer ordnungsgemäßen Entlohnung der Mitarbeiter keinesfalls eine Vollreinigung ausgehen, sondern nur eine Teil-, oder Sichtreinigung erbracht werden, was für ein Schulgebäude auch in der Praxis in Ordnung ist, um es „halbwegs“ sauber zu halten. Das heißt, oft kommt der Kunde gar nicht drauf, dass es kontinuierlich schmutziger wird, weil ein gewisser Standard mit einer Teilreinigung aufrecht erhalten bleibt.

Also bewegen wir uns hier in einer Grauzone, zumal niemand exakt sagen kann, was wirklich sauber ist?

Guserl: Ein professioneller Dienstleister weiß, dass er für ein Objekt angenommen 50 Stunden braucht, um es sauber halten zu können. Ausgeschrieben wird eine Vollreinigung mit 70 oder 80 Stunden zu einem günstigen Stundensatz. Um wirtschaftlich agieren zu können, sind es aber nur 50 Stunden. Das heißt, der Dienstleister verdient hier aufgrund der Reduzierung der Stunden, und der der Kunde wird nicht viel davon bemerken, wenn das Haus halbwegs in Ordnung ist.

Komarek: Um das grundsätzlich zu verhindern, gibt es nur eine Möglichkeit, nämlich indem der Nachweis erbracht werden muss, wie viele Stunden die Mitarbeiter tatsächlich im Objekt sind. Denn wenn der, der die 70 Stunden angeboten hat, auch nachweisen muss, dass er diese Stunden erbringt, wird der Auftragnehmer mit 17 Euro die Stunde keine Freude haben. In vielen Objekten gibt es Anwesenheitslisten bzw. entsprechende technische Möglichkeiten wie Fingerprint oder zu scannende QR-Codes, also digitale Lösungen, die viele Reinigungsbetriebe schon in Verwendung haben, um auch die Lohnverrechnung diesbezüglich organisieren zu können. Und der gute Reinigungsbetrieb will ja niemanden beschwindeln. Der will nicht mit dem Geld verdienen, was er nicht macht, sondern damit, was er gut macht. Dazu gehören auch digitale Lösungen. Wenn das alles transparent ist bzw. wäre, dann gäbe es auch nicht mehr solch niedrige Preise am Markt.

Zusammenfassend: Wenn der Dienstleister nachweisen müsste, dass er die angebotene Stundenanzahl tatsächlich erbringt, wäre das die Lösung? Aber welcher von den beiden Partnern hat Interesse daran? Offenbar weder der Einkäufer noch der Dienstleister, der um 17 Euro anbietet, oder?

Komarek: Der professionelle Dienstleister, der diese digitalen Möglichkeiten nutzt, bietet sowieso nicht um 17 Euro an, sondern möchte Geld verdienen und die digitalen QM Lösungen auch für weitere Dinge verwenden, sei es das Thema Mehrarbeitsstundenaufzeichnungen, Über- oder Nachtstunden, Durchrechnungszeiträume und Urlaube für die Lohnverrechnung. Der Dienstleister, der um 17 Euro anbietet, will das natürlich nicht. Der will ja nicht die angebotenen 10 Stunden dort arbeiten, sondern nur 8 und so auf mehr als 21 Euro kommen. Und jener Kunde, der einfach nur billig einkaufen und möglichst wenig Arbeit mit der Ausschreibung und bei der ganzen Vergabe einer Dienstleistung haben will, will es auch nicht haben. 

Guserl: Viele Auftraggeber haben schon in den Ausschreibungsunterlagen als Vorgabe den verpflichtenden Einsatz eines elektronischen Leistungsnachweissystems vorgesehen, aber bei ausschreibenden Stellen, die diesbezüglich nichts vorsehen, wird sich auch nichts ändern.

Komarek: Speziell in Wien bekommen wir solche Unregelmäßigkeiten in der Landesinnung auch zugespielt. Und wenn der Verdacht eine bestimmte Größenordnung umfasst, melden wir es dann auch der Finanzpolizei, die nicht nur die Anmeldung der Mitarbeiter kontrolliert, sondern mittlerweile auch nach der ÖNORM D 2050 und den maximalen Leistungswerten. Immerhin handelt es sich bei den Verstößen um Lohn- und Sozialdumping.

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