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Ungeziefer hat immer Saison

Mediale Aufmerksamkeit erhielten zuletzt ganz besonders unerwünschte Hausbewohner: die Schaben. Von einem verstärkten Befall vor allem in Wien wurde berichtet.
Die Schädlingsbekämpfer sehen die Situation nicht so dramatisch – sondern alltäglich.

Text: Erika Hofbauer

Gerhard Klosterer, Rentokil Initial
Gerhard Klosterer, Rentokil Initial

Wir stellen keine außergewöhnlich vermehrten Aktivitäten fest“, lautet zunächst die Auskunft von Gerhard Klosterer, Technischer Leiter Schädlingsbekämpfung der Rentokil Initial GmbH: „Ein sprunghafter Anstieg der Population ist bei Insekten, die synanthrop, also in menschlicher Umgebung, leben, nicht nachvollziehbar, da sich weder die Umstände noch die Temperatur in kurzer Zeit flächendeckend ändern. Somit kann keine geänderte Populationsdynamik oder gar eine Massenvermehrung stattfinden.“ Etwas differenzierter beschreibt Rainer Barath, Technischer Direktor der Anticimex GmbH, die Situation: „Grundsätzlich konnten wir in ganz Österreich einen Aufwärtstrend bei Küchenschaben vor allem seit 2020 feststellen. Nur in Zahlen gemessen anhand erstellter Kundenaufträge verzeichnen wir bei Schaben einen Anstieg von 2020 zu 2021 von 84% und von 2021 zu 2022 von 35%.“ Den stärksten Anstieg, so Barath weiter, habe demnach im Jahr 2021 stattgefunden: „Die Anzahl an Schabenaufträgen ist im Jahr 2022 mehr als doppelt so hoch wie im Jahr 2020 gewesen. Für heuer scheint sich auch keine Entspannung abzuzeichnen“, so Barath, der hinzufügt, dass nicht nur Einzelaufträge, sondern auch Folgeaufträge in diese Aufstellung einfließen: „Wären es Einzelaufträge, würde es eher die Breite der Schabenbefälle andeuten. Da aber auch sehr viele Folgebehandlungen darin enthalten sind, sprechen wir nicht nur von einem Anstieg in der Breite, sondern auch in der Tiefe.” Soll heißen: der Befallsgrad ist wesentlich stärker ausgeprägt. Vereinfacht ausgedrückt, so Barath weiter: „Wenn es irgendwo krabbelt, dann „wuselt“ es bereits.“ 

Befallsherde finden

Rainer Barath, Anticimex
Rainer Barath, Anticimex

Für Wien fallen jedoch bei den Aufträgen zumindest die Zahlen nicht ganz so dramatisch aus, beruhigt auch Barath, der freilich nur Zahlen aus dem eigenen Unternehmen heranziehen kann: „Von 2020 auf 2021 verzeichneten wir ein Plus von 21% und von 2021 auf 2022 einen Rückgang von 10%. Aktuell verzeichnen wir aber wieder einen Anstieg.” Betroffen sind jedenfalls – quer durch die Bank – alle Arten von Kundenobjekten, egal ob Gastronomie, Lebensmittelproduzent oder Mehrparteienhaus. Anticimex-Experte Barath: „Unser Schwerpunkt liegt sicherlich eher bei gewerblichen Kunden. Daher ist die größte Anzahl an Befällen bei uns in diesem Segment zu verzeichnen. Andere Betriebe mit Fokus eher auf Privatkunden könnten vielleicht ein etwas anderes Bild zeichnen.“ Rentokil-Manager Klosterer sieht die Schabe schon seit langem bei uns etabliert: „Da sie nicht nur bekannte Lebensmittel und Hygieneschädlinge sind, sondern auch Krankheiten übertragen, gilt es, sie so rasch und gezielt als möglich zu bekämpfen. Das ist in der Regel mittels Gelformulierungen sehr sicher und effektiv möglich.“ Grundsätzlich gelte es, immer alle möglichen Verstecke und Befallsherde zu finden und diese dann bis zur Tilgung zu bekämpfen. In einer Wohnhausanlagen sei das oft nicht so einfach, so Klosterer: „Hier muss dann wohnungsübergreifend inspiziert und bekämpft werden. Das verlangt dann schon nach einem gut durchdachten Konzept und einer strukturierten Vorgehensweise – natürlich auch abgestimmt auf die vorgefundene Schabenart, deren Verhalten und Lebensraum.“ 

Verursacher Lockdown

Für Anticimex-Profi Barath ist die Ursache jeglicher Ungezieferentwicklung eindeutig: „Für uns hat sich die Pandemie mit den unzähligen Lockdowns als Ursache Nr.1 herauskristallisiert. Und dies betrifft nicht nur Küchenschaben.” Mit digitalen Messgeräten messe man in der Kanalisation regelmäßig die Anzahl an Ratten in Kanalabschnitten: „Wir konnten hier in den Zeiten des Lockdowns einen signifikanten Anstieg an Bewegungen in der Kanalisation verzeichnen. Auf Küchenschaben bezogen haben wir zwar keine so schönen Auswertungen wie Bewegungsmeldungen, aber hier zeigte sich meist nach den Wiederöffnungen der Gastronomie ein durchaus desaströses Bild. Denn: Durch die Schließung der Lokale wurden auch die Zugänge für die regelmäßigen, gesetzlich vorgeschrieben Befallskontrollen (Monitoring) vielerorts unterbunden. Viele unsere Servicetechniker konnten diese wichtigen Routinekontrollen über Monate nicht durchführen.” Wo man üblicherweise einen Befall rechtzeitig erkannt hätte, wurde man dann vor allem im Jahr 2021 vor vollendete Tatsachen gestellt, erzählt Barath: „Dies hatte da und dort sogar erneute Lokalschließungen zur Folge – jetzt jedoch nicht wegen der Pandemie, sondern wegen einer Schabeninvasion, die sich in Zeiten des Lockdowns unbemerkt ausbreiten konnte.“ So sei man bei einigen Objekten daher auch noch im Jahr 2023 damit beschäftigt, die 2020 ausgebreiteten Schaben zu bekämpfen. Und diese Ausbreitungen fanden teilweise bis tief in die Gebäudestrukturen wie Wasser- und Elektroinstallationen statt. 

Befallseinschätzung

Eine Populationszunahme ist vom Grundschema her immer das Gleiche: Wo nicht frühzeitig vorsorglich eine Befallsüberwachung durchgeführt wird oder wenn in einer konkreten Befallssituation zu spät reagiert wird, ergeben sich enorme Entwicklungsszenarien im Hintergrund. „Diese Tiere haben vor allem eines im Sinn: die massenhafte Vermehrung”, analysiert Barath. Hier seien – je nach Schabenart – pro Weibchen ca. 50 neue Schaben innerhalb von etwa 6 Wochen zu erwarten: „Wenn man diese Zahl jetzt multipliziert auf mehrere Monate, kann man sich annähernd das Ergebnis selbst ausrechnen.“ Für die Kammerjäger ergeben sich in diesen Situationen enorme fachliche Herausforderungen, vor allem hinsichtlich der ersten Befallseinschätzung und dem Erkennen der gesamten Tragweite des Befalls. Spezialkonzepte, die sonst eher die Ausnahme waren, sind nun beinahe schon zur Regel geworden, berichtet der Anticimex-Experte aus der alltäglichen Praxis: „Das Ausmaß ist vielen Kunden oft nicht bewusst. Viele glauben tatsächlich, dass ein Befall mit einer einzelnen Behandlung getilgt ist. Viele meinen, es wäre ähnlich einer Waschmaschinen-Reparatur: ein Kabeltausch und schon läuft die Maschine wieder wie zuvor. Dass wir es aber mit Lebendorganismen zu tun haben, die sich einerseits vermehren und andererseits jederzeit wieder neu eingeschleppt werden können, ist vielen nicht zur Gänze bewusst.“

Verdachtsfälle melden

Muss man in Zukunft mit weiterhin mit solch einer Entwicklung rechnen? Gerhard Klosterer, Rentokil: „Schaben werden uns immer wieder befallen. Meist eingeschleppt oder aufgrund einer hohen Populationsdichte aus der nahen Umgebung abgewandert, dringen sie überall dort ein, wo wir Menschen leben und uns aufhalten. Präventiv sollte man die Augen offen halten und im Verdachtsfall ein Foto inklusive Größenverhältnis und einer kurzen Beschreibung an den Schädlingsbekämpfer seines Vertrauens schicken. Der kann dann innerhalb kurzer Zeit die Bestimmung vornehmen und wenn nötig entsprechende Maßnahmen einleiten.“ Ein Blick in die Zukunft sei schwierig, so Anticimex-Experte Barath: „Ich wage zu behaupten, dass sich dieser aktuelle Trend so schnell nicht legen wird. Wir empfehlen jedem Betrieb der Lebensmittelbranche dringend, dem vorsorglichen Monitoring mehr Bedeutung zu schenken und diese Art der Vorsorge auch durch einen Professionisten durchführen zu lassen. Des Weiteren sollten nicht die Mindestintervalle von 4 Standardkontrollen im Jahr, wie sie in der Leitlinie für Einzelhandelsbetriebe empfohlen werden, implementiert werden, sondern mindestens 8-wöchige Kontrollen eingehalten werden. Denn innerhalb von 3 Monaten können Dinge passieren, die möchte man sich nicht ausmalen – vor allem unter Berücksichtigung der genannten Vermehrungsdynamik.“

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