schaedlinge01

Klimawandel: Schädlinge passen sich flexibel an

Durch den Klimawandel sind neue Herausforderungen für die Schädlingsbekämpfung nicht nur zu erwarten, sondern bereits spürbar. 

Text: Peter Fiedler

Klimawandel und vektor-übertragene Krankheiten, verstärkter internationaler Personen- und Güterverkehr – die Welt als Dorf. Das sind Schlagworte, deren Inhalt wir langsam ernst nehmen sollten und sie nicht nur als Propaganda von Zukunftspessimisten abtun. Wir bewegen uns in eine neue Ära, auf die wir uns gut vorbereiten sollten.

„Veränderung der Mesophilen“ zum Beispiel, ein Schlagwort, dass schon vor Lebensmittelexperten für Aufmerksamkeit sorgte. Es klingt so harmlos, ist es aber nicht. Mesophil bedeutet wörtlich „das Mittlere liebend“ – man bezeichnet damit Lebewesen, die „mittlere“ Verhältnisse bevorzugen. Bei den Insekten ist es die Eigenschaft sich bei mittelmäßigen Temperaturen besonders wohl zu fühlen und das bedeutet: sich besonders gut und rasch zu vermehren. Die Temperaturen, auf die wir uns in Zentraleuropa im Rahmen des Klimawandels mehr oder weniger langsam hinbewegen, sind optimale Entwicklungsparameter für heimische UND neue Insekten, sogenannte Neozoen, die immer häufiger werden.

So fühlen sich die meisten Schädlinge im Lebensmittelbereich und auch in unserem Umfeld im mittleren Temperaturbereich besonders wohl. Mittlere Temperaturen bedeutet in diesem Fall ein Minimum von 10 – 15°C, ein Optimum von 30 bis 40°C und ein Maximum von 35 bis 47°C. Genau auf diese Temperaturen steuern wir zu. Durch das Steigen der Temperaturen und auch teilweise der Feuchtigkeit verkürzen sich die Entwicklungszyklen rapide, wodurch der Befallsdruck, also die Anzahl der vorhandenen Tiere, enorm (weil exponentiell) steigt. Hinzu kommt, dass durch eine schnellere Generationenfolge die Anpassungsfähigkeit der Tiere deutlich erhöht ist – ein Faktor, der uns nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie mehr als deutlich vor Augen geführt wurde. Eine Veränderung in der Temperatur um 2°C kann zu ein bis fünf zusätzlichen Entwicklungszyklen im Jahr führen, was das Ansteigen und Vermehren der Populationen rapide beschleunigt.

Neues Spektrum von Schädlingen

Naturereignisse, die sich in unseren Breiten immer häufiger einstellen, und extreme Wetterverhältnisse bedingen ein neues Spektrum und Entwicklungspotential von Schädlingen, womit automatisch auch die Verbreitung von vektor-übertragenen Krankheiten rapide zunehmen wird und gesundheitliche Aspekte wie eine Zunahme von Allergien und Atemwegserkrankungen feststellbar sein werden. Erschwerend kommen beispielsweise Themen wie Antibiotika-Resistenzen, Wirkstoff-Resistenzen und massive Einschränkungen im Spektrum der zugelassenen und verfügbaren Wirkstoffe und Produkte zur Schädlingsbekämpfung.

Eine Veränderung der Schädlingspopulationen von bereits bestehenden Arten (z.B. Blattella germanica – Deutsche Schabe, Cimex lectularius – Bettwanze, Monomorium pharaonis – Pharao-Ameise, Ctenocephalides felis – Katzenfloh oder Tineola bisselliella – Kleidermotte) gilt als eher unwahrscheinlich.

Speziell im urbanen Bereich

Wahrscheinlich ist hingegen, dass sich einige bisher bei uns nicht so verbreitete Arten wie Linepithema humile – Argentinische Ameise, Reticulitermes grassei – Mediterrane Termite stärker und schneller etablieren werden oder dass auch bereits (teilweise) bestehende Arten wie Culex pipiens – Gemeine Stechmücke (urban mosquito), Aedes vexans – Stechmücke (floodwater mosquito), Aedes cantans – Stechmücke (woodland mosquito) oder die bekannte Musca domestica – die Stubenfliege deutliche Veränderungen der Populationen (also Ansteigen und rasantes Wachstum) zeigen werden.

Speziell im urbanen Bereich sind diese Auswirkungen besonders stark spürbar: Die Urbanisierung und das Wachsen der europäischen Städte führen zu größeren städtischen Gebieten. Nach einer Studie von Angilletta und anderen aus dem Jahr 2007 ist die Temperatur im urbanen Bereich um durchschnittlich 12°C höher als in der Umgebung. Hier ist wieder unser Anknüpfungspunkt zu den mesophilen Insekten – und wir nähern uns immer mehr dem temperaturtechnischen Entwicklungs-Optimum dieser Tiere an. Wir züchten also ein vor allem städtisches Problem. Unter diesen Bedingungen entwickeln sich Schädlinge hervorragend und passen sich sehr flexibel an.

Darüber hinaus ist auch das Thema Globalisierung ein sehr starkes. Schädlinge reisen mittlerweile international in Güter-Containern über große Strecken und in ferne Erdteile (oder kommen daher). Pathogene – auch hier wieder als Beispiel SARS-CoV-2 – reisen ebenso vermehrt in ihren Wirten, in den Vektoren (auch der Mensch kann hier herhalten). Durch diesen Mechanismus haben beispielsweise Tigermücken (Aedes albopictus) ihren Weg um die Welt angetreten. Bereits 2009 waren sie in 13 Ländern etabliert und in 21 Ländern Europas erstgesichtet. Die Voraussage: die Belastung wird zunehmen. Die letzte Ausgabe eines Fachmagazins für Schädlingsbekämpfung bringt als prominentes Thema: „Neue asiatische Aedes-Mücke in Deutschland nachgewiesen.“ Zufällig wurde eine neue Art entdeckt, 2015 als Einzeltiersichtung, und jetzt hat man festgestellt, dass bereits mehrere Exemplare vorhanden sind. Man nimmt an, dass eine Überwinterung der Eier stattgefunden hat und dass sich bereits eine kleine Population gebildet hat. Hiermit ist das Saatkorn (vor den Toren Österreichs) gesetzt, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Mücken-Art auch ihren Weg in das benachbarte Alpenland, in dem wir wohnen dürfen, finden wird.

Auch „alte Bekannte“ treten verstärkt auf

Neben diesen Neuankömmlingen ist allerdings auch nicht zu vernachlässigen, dass bereits „alte Bekannte“ aufgrund der Klimaänderungen verstärkt auftreten. Fliegen verbreiten ein teilweise anderes Spektrum an Krankheitserregern. Stubenfliegen stehen in Zusammenhang mit 65 übertragbaren Krankheiten (inkl. Typhus, Ruhr, Cholera, Anthrax, Tularämie, Lepra oder Tuberkulose). Fleisch- und Schmeißfliegen erzeugen oft durchfallbezogene Krankheiten und übertragen auszugsweise Staphylococcus aureus, Bacillus megaterium, Escherichia Coli, Pseudomonas aeruginosa und Streptococcus faecalis. Daraus können Krankheiten wie Maul- und Klauenseuche, Schweinepest, Brucellose, E-Coli Infektionen (Durchfallerkrankungen), Leptospirose, Rotlauf, Salmonellose, Kokzidiosen oder Spulwurminfektionen entstehen. Lediglich bei den sogenannten kleinen Fliegen (Schmetterlingsmücken oder Fruchtfliegen) wissen wir nicht, ob sie auch als Vektoren und somit Überträger in Frage kommen.

Und ein wenig bekanntes Faktum: Durchfall ist Nummer 8 in der Weltrangliste der Todesursachen. 2015 starben 1,4 Millionen Menschen an Durchfallerkrankungen.

Bis vor einigen Jahren waren Krankheiten wie – vor allem – Malaria, FSME, Borreliose, Q-Fieber, Dengue-, Gelb- und Chikungunyafieber) noch als „Reisekrankheiten“ geläufig, nun reisen sie zu uns und machen sich hier heimisch und breit! Problematisch ist das insofern, als es für die meisten dieser Infektionskrankheiten nach wie vor weder eine medikamentöse Therapie noch Impfstoffe gibt.

Es entwickeln sich kältetolerante Stämme

Die relativ milden Winter der letzten Jahre haben für eine höhere Populationsdichte unter unseren heimischen Insekten gesorgt, die längeren Wärmeperioden führen zu längeren Aktivitätsphasen, was wiederum zu einem erhöhten Vermehrungspotential führt. Die Vermischung mit nicht heimischen Arten und die Anpassung einzelner neuer Arten an die klimatischen Bedingungen in den gemäßigten Regionen Mitteleuropas führen dazu, dass sich kältetolerante Stämme entwickeln, die mit unserem Klima besser zurecht kommen können.

All diese Krankheiten sind nicht nur für die Tierhalter und Naturnutzer relevant, sondern auch für die Menschen, die in der Weiterverarbeitung der Produkte tätig sind, für die Lebensmittelanbieter und auch für die Schädlingsbekämpfer! Erkrankungen können auch bei Aufräumarbeiten nach Befall entstehen (z.B. durch das Wegkehren von Kot und Staub nach oder bei Mäusebefall). Daher ist fundiertes Wissen in diesem Bereich ebenso essentiell wie richtige persönliche Schutzausrüstung und bewusstes Handeln.

Sind die Branche, die Unternehmen und die EU hinsichtlich der anzuwendenden Maßnahmen, vor allem hinsichtlich Tools, Wirkstoffe etc., gut vorbereitet? Womit kann man in diesem Zusammenhang rechnen?

Noch sind alle diese Themen nicht in der EU und in den einzelnen Ländern komplett angekommen. Der letzte internationale Schädlingsbekämpfungsgipfel (2018 in Cascais in Portugal) hat zwar den Neozoen (vor allem Tigermücke und Aedes-Arten) breiten Platz eingeräumt und in einzelnen Ländern bereits etablierte Monitoring-Systeme (Skandinavien, Spanien) vorgestellt, aber noch ist hier kein einheitlicher Weg gefunden. In England wurde vom Chartered Institute of Environmental Health eine Leitlinie betreffend Schädlinge speziell für die Lebensmittelindustrie herausgegeben. Ein Dokument wie dieses oder Schulungen von Schädlingsbekämpfungsexperten können und müssen herangezogen werden, um das Schädlingsbewusstsein zu steigern.

Denn Schlüsselfaktor ist, dass nicht nur der Schädlingsbekämpfer, sondern auch die handelnden Schlüssel-Personen den „Feind“ kennen und dass nur ein wirklich frühzeitiges Erkennen von etwaigem Schädlingsbefall auch zu raschen und dann meist kostengünstig effizienten Gegenmaßnahmen führt. Und das bedeutet natürlich, dass die Zusammenarbeit mit einem Schädlingsbekämpfungsunternehmen mit hohem Vertrauen zusammenhängt.

Komplexe Wirkstoff-Thematik

Die Wirkstoff-Thematik im Bereich der EU ist ein eigenes und sehr komplexes Thema. Die Biozidzulassungen sind zunehmend eingeschränkter und gegenseitige Anerkennungen werden oft – aus Kostengründen – nicht durchgeführt, der Absatzmarkt vieler kleiner Länder ist zu klein, daher rechnet sich das für die Unternehmen nicht. In diesem Bereich wird es tatsächlich über kurz oder lang zu Schwierigkeiten kommen, nicht bei den klassischen Schädlingsarten (Mäuse, Ratten, Schaben), aber doch bei diversen Insekten, die sich neu auf der Landkarte zeigen. Hier genaue Zukunftsaussagen zu treffen, ist ein bisschen wie Glaskugelschauen – die Bemühungen der Branche sind groß, in den Augen der Behörden sind wir allerdings ein Randgruppen-Thema.

Generell darf nicht vergessen werden, dass Schädlingsbekämpfung ein Teil von Krankheits- und Seuchenprävention ist – nicht nur im Bereich der menschlichen Gesundheit, sondern sowohl in der Haltung von Nutztieren, wo dieser Aspekt noch keineswegs selbstverständlich für die Tierhalter ist, als auch in der weiteren Lebensmittelkette.


Zum Autor

Peter Fiedler
Peter Fiedler

Mag. Peter Fiedler ist Geschäftsführer, Schädlingsbekämpfungsmeister, Gebäudereinigungsmeister, Gebäudereinigungsdesinfektor, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Schädlingsbekämpfung in Gebäuden und Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung. Er ist Vorsitzender des Berufszweigs der Schädlingsbekämpfer in Wien  und Ausschussmitglied der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger, unterrichtet und prüft angehende Schädlingsbekämpfungs- und Gebäudereinigungsmeister und Facharbeiter für die Wirtschaftskammer Wien, arbeitete als Mitglied der Österreichischen Delegation mit bei der Erstellung CEN Norm EN 16636 für Schädlingsbekämpfungsdienstleistungen, die auf europäischer Ebene erstellt wurde, um professionelleres Arbeiten in der Schädlingsbekämpfung durchzusetzen. Er kümmert sich weiters um internationale Schädlingsbekämpfung, gilt als Spezialist für Fachkalkulation und andere wirtschaftliche Themen.

kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

neueste beiträge