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„Jobprofile werden sich ändern müssen“

„Wie geht es der Branche?“ Mit dieser Frage setzten sich am Reinigungstag 2021, dem Kongress der Reinigungs-Branche am 18. Oktober in Wien, auseinander: Ursula Simacek, Geschäftsführerin Simacek, Peter Edelmayer, Geschäftsführer Dussmann Service, Michael Freitag, Geschäftsführer Sodexo, und Erich Steinreiber, Geschäftsführer ISS. Christian Wolfsberg, Herausgeber Reinigung aktuell, moderierte.

Ob und wenn ja wie hat die Pandemie die Reinigungsbranche verändert? Hat das eine höhere Wertschätzung dieser Branche bewirkt? Und wenn ja, ist diese Wertschätzung auch nachhaltig?

Ursula Simacek: Ich glaube, dass sich für uns alle sehr viel verändert hat. Vor zwei Jahren hätte man sich noch nicht vorstellen können, dass eine Pandemie solchen Ausmaßes auf uns zukommen würde. Wir als Branche haben uns sehr tapfer geschlagen, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben tagtäglich einen fantastischen Job gemacht und auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt, indem sie täglich arbeiten gegangen sind. Wir als Arbeitgeber-Vertreter sind denn auch sehr stolz auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – von unserer Seite verdienen sie jedenfalls sehr hohe Wertschätzung und Respekt.

Nun kennen wir die Studien der letzten Zeit über Wertschätzung, Imageverbesserungen und den Stellenwert von Sauberkeit und Hygiene – das hat sich für unsere Branche natürlich sehr positiv entwickelt, und das wird auch weiter anhalten. Aber irgendwann wird das auch wieder erschöpft sein, wenn die Pandemie vorbei ist, werden wir nach wie vor für das Image unserer Branche kämpfen müssen beziehungsweise dafür, dass wir den derzeitigen Grad der Wahrnehmung halten. 

Peter Edelmayer: Ein bisschen bin ich anderer Meinung. In meinen Augen ist die zuletzt gestiegene Wertschätzung der Reinigung auch schon wieder weg, die Reinigung wird leider schon wieder nicht mehr so wertgeschätzt wie am Höhepunkt der Pandemie. Da müssen wir als Branche weiter daran arbeiten. Das Problem ist, dass wir in den Randzeiten arbeiten und dadurch teilweise leider eine unsichtbare Branche sind. Der Kunde sieht uns nicht, er will uns bedauerlicherweise oft auch gar nicht sehen. Es müsste viel mehr Tagreinigung möglich sein, um bewusst zu machen, dass jemand da ist und reinigt. Wir werden jedenfalls alles tun, um die Wertschätzung der Branche zu heben, Wertschätzung, die in der Form, wie sie eine Zeitlang da war, jetzt nicht mehr gegeben ist. 

Erich Steinreiber: Gerade am Anfang der Pandemie, als Mitarbeiter unserer Kunden zu Hause im Home Office in einem sehr sicheren Umfeld waren, waren unsere Mitarbeiter jeden Tag draußen in einem Umfeld, das damals noch nicht sicher war. Daher erfuhren sie in den ersten Monaten der Pandemie auch eine sehr hohe Aufmerksamkeit. Mittlerweile gibt es in der Wirtschaft wieder Stabilität, was auch für unser Geschäft gut ist, aber wir spüren auch, dass dieser Hygiene-Gedanke immer mehr wieder zurückgedrängt wird. Wobei es auch darauf ankommt, in welchem Segment man tätig ist. Im Gesundheitswesen etwa, wo die Anforderungen seit jeher sehr hoch sind, haben wir weiter einen sehr hohen Anforderungs-Level, aber in einer klassischen Büroimmobilie, wo die Kunden jetzt in einer Phase sind, in der sie sehr wohl nachdenken, wie viel Büroflächen sie brauchen bzw. wie das Büro der Zukunft aussehen wird – da ist das Umdenken ein bisschen anders. In Summe, glaube ich, liegt es an uns, für das Thema Reinigung zu sensibilisieren und das Thema Hygiene weiter zu forcieren, auch das Image zu verbessern. Wenn wir in den Gesprächen mit den Kunden das Thema sehr hoch halten, wird es uns auch nachhaltig den Stellenwert bringen, den wir uns alle miteinander verdient haben. 

Michael Freitag: Dem gibt es nicht viel hinzuzufügen. Die Wertschätzung durch unsere Kunden im Gesundheitswesen war besonders groß. Da war vor allem Business Continuity gefragt, jeder Kunde war froh, dass alles funktionierte bzw. die Reinigung und Hygiene gewährleistet war. Aber – auch menschlich – das Thema Bedürfnisinflation findet auch hier seinen Niederschlag, das heißt, in Bürogebäuden oder Ähnlichem sieht man schon, dass wieder Einsparungen getroffen werden. Das Thema Büro von morgen, Flächenreduktion, findet auch hier Einzug. Wir sehen auch den Druck in Bezug auf die steigenden Leistungsanforderungen, die auf unsere Mitarbeiter wieder zukommen. Und beim Thema Wertschätzung im Allgemeinen müssen wir eben zusehen, dass wir diese Wertschätzung auch bekommen.

Thema Personal und Löhne: Mittlerweile gibt es auch in dieser Branche Personalengpässe. Wie geht man damit um? Könnte das dazu führen, dass die Löhne irgendwann steigen werden? Man hört zum Beispiel aus der Hotellerie, dass die Arbeitskräfte beim ersten Lockdown zurück „nach Hause“ gegangen sind, nach Ungarn zum Beispiel, und viele nicht mehr zurückkommen, weil sie festgestellt haben, dass sie auch zu Hause Jobs bekommen und die Lohndifferenz gegenüber Österreich nicht mehr so groß ist. Wir wird man in Zukunft mit dieser Personalknappheit umgehen?

Peter Edelmayer: Das ist eines der Hauptthemen, welche die ganze Branche betreffen. Ja, wir haben teilweise massive Probleme, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, nicht nur im gewerblichen Bereich – für unsere Gastronomie zum Beispiel finden wir kaum mehr Mitarbeiter –, sondern auch für den administrativen Bereich – für Kostenrechnung, Buchhaltung, Lohnverrechnung, IT – bekommen wir sie am Markt nicht. Und damit beginnt eine gewisse Spirale sich zu drehen, das heißt: Wenn ich ein halbes Jahr erfolglos einen IT-Mitarbeiter suche, muss ich irgendwann einen nehmen, der auch ein entsprechend höheres Entgelt bekommt. Wenn ich aber andere Mitarbeiter habe, die schon seit Jahren im Unternehmen sind und dieses Entgelt nicht bekommen, bin ich gezwungen, bei denen entsprechend nachzuziehen. Detto beim gewerblichen Personal, auch in der Gastronomie: Ein Teil des Bemühens, Mitarbeiter zu bekommen, besteht – zumindest nach unserer Erfahrung, wenn man lange sucht – darin, etwas mehr zu zahlen. Aber das alleine kann es ja nicht sein. Wir müssen als Unternehmen neben der Image-Verbesserung der Branche auch schauen, was für Möglichkeiten wir den Mitarbeitern bieten können, sei es Weiterbildung, gratis Mittagessen, E-Mobilität etc. Auch in diese Richtung müssen wir versuchen zu gehen, da sind wir alle extrem gefordert. Allerdings habe ich auch nur einen gewissen Topf an Möglichkeiten, um Mitarbeiter zu schulen oder Ausbildungen zu ermöglichen, um sie längerfristig ans Unternehmen zu binden, denn wenn ein Mitarbeiter von einem Angebot erfährt, wo er 500 Euro mehr verdient, und er bei uns nicht zufrieden ist, ist er sofort weg. Das ist sicher ein Riesenthema, besonders auch im Technikbereich, wo wir manche Aufträge gar nicht mehr annehmen können, weil wir die Mitarbeiter dafür nicht haben. Wir sind also gefordert – einerseits hinsichtlich Image-Wandel, andererseits im Unternehmen dahingehend kreativ zu sein, wie wir Mitarbeiter nicht nur akquirieren, sondern dann im Unternehmen auch halten können. 

Kann Robotic eine Antwort auf den Personalmangel sein?

Peter Edelmayer: Robotic ist in aller Munde, wir nutzen das auch in mehreren Bereichen, sei es gechiptes Geschirr oder kamerabasierte Erkennung bei der Kassa, man kann mit Robotic bestimmte Teilbereiche abdecken. Aber wir sind und bleiben ein People Business, man wird nicht – zumindest aus meiner Sicht – in der nächsten Zeit ganze Office-Flächen mit Roboter-Technik reinigen können.  In bestimmten Bereichen, in großen Hallen, Lagern etc., kann man sie einsetzen, aber man kann nicht sagen, dass man sich dadurch 5 Arbeitskräfte ersparen würde. Oder an der Kassa, wie in den Supermärkten: Es ist nicht so, dass ich mit drei kamerabasierten Kassasystemen zwei Kräfte einsparen kann, denn ich brauche immer auch jemand, der kontrolliert, der den Leuten, die sich nicht auskennen, hilft. Großflächig können wir da nach unserer Meinung das People Business nicht durch Robotic ersetzen, in Teilbereichen ja, wobei die Teilbereiche natürlich auch immer mehr werden, weil die Geräte immer besser werden. Aber den Weg, dadurch massiv Mitarbeiter zu ersetzen, die wir am Markt nicht finden, sehe ich derzeit nicht.

Erich Steinreiber: Ich glaube, dass wir auch dann das Image der Reinigung verbessern, wenn wir bezüglich Tagesreinigung viel mehr machen können. Man sieht es in den skandinavischen Ländern, wo Tagesreinigung schon seit langem Standard ist. Wir leben heute noch immer von der Teilzeit, unsere Mitarbeiter arbeiten als „stille, unsichtbare Heinzelmännchen“ in der Früh und am Abend. Das hat sich durch die Corona-Krise zwar ein bisschen verändert, plötzlich waren wir untertags da, die Reinigung hat ein Gesicht und einen Namen bekommen – das war sehr gut für uns und wir müssen das auch nutzen. Aber das geht, glaube ich, nur in Kombination zum Beispiel mit Digitalisierung. Ich glaube, dass sich in Zukunft auch in der Reinigung Jobprofile werden ändern müssen. Die Reinigungskräfte werden andere Qualifikationen brauchen, sie werden iPads bedienen müssen, sie müssen digitale Informationen lesen können. Das wird nicht bei jedem Kunden notwendig sein, aber bei großen Kunden wird es durchaus einen Trend in diese Richtung geben, den wir nicht ignorieren dürfen. Hier müssen wir schauen, wie wir Leute entsprechend qualifizieren, um diesen Anforderungen zukünftig gerecht zu werden. Das bedeutet ja auch, dass wir dann mehr Möglichkeiten haben werden, die Mitarbeiter auch anders zu entlohnen. Wichtig wäre für mich jedenfalls, die Tagesreinigung mit allen Hygienemaßnahmen – da ist zuletzt ja viel geschehen – auch weiter zu halten. Die Branche muss daran festhalten, vermehrt auch untertags reinigen zu können. Und ich glaube, dass auch diese neuen Bürowelten für innovative Dienstleister durchaus auch Möglichkeiten bieten, mit gut qualifizierten Reinigungskräften, die untertags reinigen, auch mit anderen Services anzudocken. Da arbeiten wir als ISS auch schon an konkreten Konzepten.

Bei der Tagesreinigung gibt es offenbar keine Verlierer, die Frage ist aber, wie man dort hinkommt. Zunächst jedoch die Frage, ob die Tagesreinigung eine Lösung der Personalprobleme sein kann…

Erich Steinreiber: Die Tagesreinigung wird nicht alle Personalprobleme lösen, aber sie kann das natürlich unterstützen. Wenn viele unserer Mitarbeitenden, großteils Frauen, um 6 beginnen sollen, die Kindergärten aber noch geschlossen sind, ist es schwierig, weg zur Arbeit zu gehen. Bei einer Arbeitszeit von 8 oder 8:30 bis 17 Uhr hat man hingegen andere Möglichkeiten, sich zu organisieren. Und ich glaube, dass es für die Dienstleister, die sehr nahe beim Kunden sind, die mit dem Kunden Konzepte entwickeln, dass diese Dienstleister letztlich erfolgreicher sein werden als andere. Viele unserer Kunden erkennen die Thematik dieser Arbeitsplatzsituation. Wir brauchen aber auch politische Entscheidungsträger, die hier mithelfen, das Umfeld entsprechend zu verändern, das können wir nicht allein als Branche machen. 

Michael Freitag: Wir sehen es ähnlich. Es gibt bereits zahlreiche Beispiele, wo Kunden das entsprechende Verständnis aufbringen und wir es dadurch leichter haben, Mitarbeiter zu finden. Es ist in der Tat so, dass heute jeder mit hohen Lebenshaltungskosten konfrontiert ist und die Leute einfach Vollzeitpositionen brauchen und suchen, nicht nur Teilzeitpositionen, wo sie unter anderem zwischen mehreren Objekten wechseln müssen. 

Zum Thema Robotic: Wir als Sodexo beobachten das im Detail. Erstens als Unterstützung. Was wir heute an diesbezüglichen Festgeräten zur Verfügung haben, fällt in den Bereich Cobotic, sprich: als Unterstützung für unsere Reinigungskräfte. Die Entwicklung ist rasant, und ich glaube, dass das durchaus auch ernstzunehmende Ausmaße annehmen wird. Aber solange das Ganze keine humanoiden Züge annimmt – und das ist noch immer die Preisfrage, der Return on Investment, sowie die Qualitätsfrage –, wird Robotic nur ein unterstützendes Medium sein. Es wird aber Weiterentwicklungen geben. Und wenn wir es als Dienstleister genau beobachten, sehen wir auch, ob unsere Partner, die heute diese Cobotic- oder Robotic-Technologie anbieten, zukünftig auch Mitbewerber von uns sein werden, indem sie unsere Kunden direkt ansprechen, sobald die Technologie so weit sein wird.

Ursula Simacek: Um hier anzuschließen – ich finde, diese Robotic- und Cobotic-Technologie ist ein extrem interessantes Thema, und ich glaube, wir sind hier noch ganz am Anfang. Unsere Maschinenhersteller am Markt machen sehr viel in diesem Bereich, und auch bei allem, was es an Apps und Tracking-Systemen gibt, tut sich sehr viel, ich glaube, wir können uns noch gar nicht vorstellen, wie sich das in der Zukunft darstellen wird. Werden wir zum Beispiel unsere Mitarbeitergespräche generell nicht mehr über Zoom oder Team-Meetings stattfinden lassen, sondern werden wir uns in einem virtuellen Raum treffen, mit VR-Brille? Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Wenn man sieht, wie stark junge Menschen in den 20ern sich damit auseinandersetzen, müssen wir wissen, was das für uns als Arbeitgeber zukünftig heißt. 

Jedenfalls wollen wir als Simacek den starken Bereich Employer Branding in Zukunft noch ausbauen, um uns als ArbeitgeberInnen-Marke interessant für potentielle neue MitarbeiterInnen platzieren. Wobei man auch bereichsweise denken muss – Reinigung, Technik, Gemeinschaftsverpflegung –, bzw. wie man da jeweils Fachkräfte anspricht. Und wie wir sinnstiftende Arbeiten anbieten können, wie wir langfristig, nachhaltig ein interessantes Arbeitsumfeld schaffen können. Das wird die große Herausforderung sein.

Was die Bezahlung speziell im Bereich Reinigung betrifft – fairer, gerechter Lohn, ganz klar, aber wir können auch nicht über KV bezahlen, außer vielleicht in der Sonderreinigung oder in anderen Bereichen, weil es schlicht und einfach nicht geht. Der Kunde geht hier mit uns nicht mit.

Wir müssen Lösungen verkaufen, die dem Kunden einen Mehrwert bringen. Wenn man Systemlösungen verkauft und der Kunde den Mehrwert sieht, kann man auch ein bisschen teurer sein, das rechtfertigt auch den Preis. Bei einer Dumping-Abwärtsspirale dagegen wird man irgendwann keine Qualität mehr liefern können. Und das schadet der gesamten Branche. Da müssen wir wirklich überlegen, wie zukünftig Märkte funktionieren werden, bzw. aufpassen, wie wir zukünftig agieren, damit wir auch wirklich die Mitarbeiter haben, die den Service vollziehen.

Wobei das Preisthema, ja, ein ganz schwieriges ist, damit kämpfen wir als hoch kompetitive Branche alle, aber am Ende des Tages wird man nur nachhaltig Bestand haben, wenn man auch Systemlösungen anbieten kann, an denen alle einen Mehrwert erkennen. 

Peter Edelmayer: Kurz ergänzend, nämlich zum Thema Sichtbarkeit der Reinigung und dem Problem, das ich hier sehe: Hier müssten uns auch die ausschreibenden Stellen insofern unterstützen, als wir, wenn die Dienstleistung entsprechend anders ausgeschrieben wäre, gar nichts anderes anbieten dürften. Das Problem ist also: Tagreinigung ja, würden wir gerne machen, wir dürfen aber gar nicht. Was können wir tun? Ich kann es mit Überzeugungsarbeit dahingehend versuchen, dass es Sinn machen würde, aber ich richte hier meinen Appell eben auch an alle ausschreibenden Stellen, uns zu dabei zu unterstützen! Wir sind bereit dazu.

Ursula Simacek: Ich halte es ebenso für ganz wichtig, hinsichtlich Tagreinigung auch an die Öffentliche Hand zu appellieren, mit gutem Beispiel voranzugehen, denn dann wird auch die Privatwirtschaft nachziehen.

Ganz zentral, was den Preis betrifft – der in den letzten 20 Jahren trotz Inflation nicht wirklich gestiegen ist –, ist der Kunde. Wissen die Kunden überhaupt, welcher Preis am Markt akzeptabel ist? Wissen sie, was die Stunde wirklich kostet? 

Michael Freitag: Ich glaube, die Kunden wissen nicht, was die Stunde in vielen Bereichen kostet, denn sonst würde vor allem im nichtöffentlichen Bereich anders vergeben werden. Ich denke also schon, dass hier Aufklärungsarbeit gefragt ist, auch in Bezug auf die Preise, die eigentlich Kollektivverträgen unterliegen würden. Im öffentlichen Bereich, muss man fairerweise dazusagen, ist das sehr gut unter Kontrolle, aber im privaten Bereich ist es oft so, dass ergebnisorientiert gekauft wird, aber die Leistungen, die abgefragt werden, oftmals in Bereichen „schweben“, die dem Kollektivvertrag unterliegen würden. Unser Wunsch wäre also, dass auch auf Auftraggeberseite bessere Aufklärungsarbeit betrieben werden würde. Man merkt zwar eine Weiterentwicklung auf Kundenseite in diesem Bereich, sprich: dass sie Leistung haben wollen und nicht nur den günstigsten Preis, dennoch gibt es vor allem im privaten Bereich oft Vergaben, ohne die ÖNORM zu respektieren.

Wenn der Kunde selbst beobachtet, was für Leistung wann erbracht wird – gibt es dann beim Kunden nicht auch eine Einsicht in die wahren Kosten?

Michael Freitag: Schon, aber oft sind es Einkaufsabteilungen, die Ausschreibungen leiten oder vollziehen, und diese sind auch getrieben von Erfolgen bzw. von wirtschaftlichen Einsparungen. Dennoch gibt es auch positive Beispiele, wo man eine Leistung vereinbart und sich an Lösungen orientiert, die sich vom Mitbewerb abheben.

Erich Steinreiber: Kurz ergänzend dazu – wir reden viel von der Öffentlichen Hand, und ich kann dem, was hier schon gesagt wurde, nur zustimmen: Die Öffentliche Hand hätte bei den Vergaben eine große Chance, die Reinigung mit zu verändern. Die ÖNORM hat zwar viel gebracht hat, um sehr standardisiert auszuschreiben, aber jetzt sind wir wieder beim billigsten Stundensatz, und das kann es nicht sein. Was können wir als Unternehmen machen? Wir investieren in Schulung, in Training, in Qualifikation, in Digitalisierung, und das geht nicht um 18 oder 19 Euro die Stunde. Auf der einen Seite möchte man die Branche weiterentwickeln, auf der anderen Seite werden Aufträge nach wie vor um 17 und 18 Euro vergeben. Diesen Spagat können wir nicht gehen. Wenn unsere Mitarbeiter beim Kunden sind, wollen sie einen Superjob machen, aber wir müssen sie dabei unterstützen, und das kostet entsprechend. Unser Anspruch muss sein, dass wir dazu da sind, den Nutzern einer Immobilie dort Wohlbefinden zu schaffen. Wenn DAS gekauft wird, kommt man auch in eine andere Diskussion beim Kunden, dann geht es nicht mehr nur um den Preis. Und dafür müssen wir die Kunden sensibilisieren – kein einfacher Weg, aber es muss unser Anspruch sein. Letztlich geht es um über 50.000 Menschen, denen wir verpflichtet sind, ihnen ein Umfeld zu schaffen, in dem sie gerne arbeiten. Hier brauchen wir aber, wie schon wiederholt gesagt, Unterstützung von den öffentlichen Auftraggebern, diese können mithelfen, hier mittel- und langfristig Veränderungen herbeizuführen. 

Es gab vereinzelt auch schon Stimmen, „Aufträge sollten einfach nicht angenommen werden, wenn der Preis unseriös tief ist“. Wäre das eine Lösung?

Erich Steinreiber: Die Lösung müsste vielmehr sein, Aufträge unter 19 Euro gar nicht zu vergeben. Denn die, die Aufträge um 17 Euro annehmen, können nicht seriös arbeiten, das geht sich einfach nicht aus. Wettbewerb ist gut, aber unter einem gewissen Level dürften Aufträge einfach nicht vergeben werden.

Peter Edelmayer: D‘accord. Aber – wenn ich heute zum Beispiel eine große Gesundheitseinrichtung serviciere und diese wird ausgeschrieben, dann werden wir vieles tun, damit wir die Servicierung dieser Einrichtung behalten. Momentan gibt es bei der Vergabe von großen Krankenhaus-Einrichtungen Stundensätze von 18,75 Euro. Wenn man das nicht anbietet, hat man keine Chance. Das ist absurd. Und das eine ist, dass Dienstleister das nach wie vor anbieten, das andere, dass Kunden aus meiner Sicht wider besseres Wissen leider einen solchen Stunden auch akzeptieren. Das ist dann eine extrem schwierige Situation, und ich spreche nicht von privaten, sondern von öffentlichen Einrichtungen. Wir alle wollen Aufträge gewinnen und – zumal große – Aufträge auch behalten. Was machen wir also angesichts dieser schwierigen Situation? Wir sind ja eine extrem kreative Branche. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mitbewerb mit einem Auftrag, den er zu einem für mich buchstäblich „unglaublichen“ Preis bekommen hatte, irgendwo ausgeschieden wäre. Irgendwie geht es interessanterweise immer. Und da muss man eben auch die Öffentliche Hand in die Pflicht nehmen. Es kann ja nicht sein, dass es Angebote gibt, wo Maschinen eingerechnet werden, die dort niemals einsetzbar sind. Grünes Hakerl hinter die Maschine, weil sie die Leistungswerte laut Norm erbringt, aber ob es plausibel ist, die Maschine in dem Objekt überhaupt einzusetzen, das überprüft dann niemand mehr. Das ist ein Irrsinn. Damit treibt man die Leistungswerte entsprechend hinauf und den Preis hinunter. Und solange dem auf der Seite gegenüber nicht mit rigorosen Maßnahmen entgegengewirkt wird, werden wir aus dieser fatalen Spirale – es gibt wenig Geld, dann spart man ein, die Leistung stimmt nicht, der Kunde ist unzufrieden – werden wir aus dieser Spirale ohne Mithilfe und ohne strengste Kontrollen seitens der Auftraggeber nicht herauskommen. 

Thema Digitalisierung: Bringt diese den Betrieben auch eine höhere Effizienz?

Ursula Simacek: Von was reden wir im Bereich Digitalisierung? Mir geht es bei diesem Thema darum, was Sinn macht und was uns als Simacek dabei unterstützen kann, die Unternehmensziele konsequent umzusetzen – interne und externe Digitalisierung betreffend. Interne, was unsere Verwaltungsabläufe betrifft, sei es Einkauf, Finanzen oder Nutzung, externe eben, um unsere Servicierung vor Ort beim Kunden durch digitale Möglichkeiten zu unterstützen. Das sind Hausaufgaben, die man machen muss, um als modernes, zukunftsfähiges Unternehmen weiter am Markt existent und auch wettbewerbsfähig sein zu können. Man muss in den Bereich Digitalisierung investieren, je nach Niveau eines Unternehmens, denn Digitalisierung hilft dabei, die eigenen Abläufe zu unterstützen und die MitarbeiterInnen dabei zu unterstützen, sich das Leben intern wie extern komfortabler gestalten zu können. Und letztlich soll, was bei uns immer im auch im Fokus steht, der Kunde auch einen Mehrwert sehen und davon profitieren. Das ist unser Ziel im Bereich der Digitalisierung. Es ist dies eine sehr spannende Geschichte, wo jedes Unternehmen einiges von sich erzählen könnte, auch wir, Simacek, haben hier schon einige Pilotprojekte hinter uns. Bei manchen Digitalisierungsmodellen, wo wir auch mit Sensorik und Messtechnik gearbeitet haben, zahlt es sich, wenn wir von den operativen Abläufen vor Ort sprechen, aus, und der Kunde findet es auch gut. Die Daten, die dort  generiert werden, stiften auch Nutzen. Es gibt aber auch Kunden, wo wir Pilotprojekte durchgeführt haben, die dann sagen, das wäre ganz interessant gewesen, aber es würde für sie mehr Aufwand bedeuten als es ihnen Nutzen bringe. Hier haben wir also auch schon das ganze Spektrum erlebt und unsere Lehren daraus gezogen.  

Könnte man den Kunden zu einem akzeptablen Preis treiben oder zwingen? Zum Beispiel die Öffentliche Hand dazu, dass sie unter einem gewissen Preis gar nicht ausschreiben darf? Und würden wir das überhaupt wollen? Die andere Variante wäre, dass der Preis sich nicht verändert, aber bei Ihnen, den Dienstleistern, sich etwas verändert – durch Effizienzsteigerung, technische Einsparungen etc. Welche Wege sind da möglich? 

Erich Steinreiber: Zwingen ist das falsche Wort. Aber wenn man als öffentlicher Auftraggeber uns hier reden hörte, müssten meiner Meinung nach die Alarmglocken schrillen. Da müsste man nicht einmal sagen brauchen, „du musst, du kannst, du sollst“. Wir geben ja auch nur Empfehlungen ab, aufgrund den Erfahrungen, die wir gemacht haben. Letztlich ist unser Geschäft im Prinzip relativ einfach: Wir reden immer von den zwei wichtigsten Assets – die Kunden und die Mitarbeiter. Das, was wir an Maschinen und Geräten brauchen, ob Digitalisierung, Robotic oder Cobotic – das wird uns in Zukunft da und dort unterstützen, letztlich wird es aber immer ein Mensch sein, der eine Maschine einschaltet und sie verstehen muss. Das heißt, es wird sich immer alles um den Menschen drehen. Es wird dann darum gehen, wie wir den Menschen so qualifizieren, damit er diesen Anforderungen entspricht. Das wird sicher für uns alle eine Herausforderung werden. Aber damit, glaube ich, verändern wir auch den Arbeitsmarkt – nicht von heute auf morgen, aber damit werden wir zukünftig auch den Ansprüchen, in der Reinigung attraktive Arbeitsplätze zu schaffen, wo man auch Karriere machen kann, gerecht werden. Die großen Kunden, mit denen ich zuletzt gesprochen habe, verstehen denn auch absolut, was wir wollen, sie werden den Weg mit uns gehen. Das heißt, wir haben auf der einen Seite viele treue Kunden, die uns Dinge probieren lassen, und dadurch können wir uns auch weiterentwickeln. Bei anderen Kunden mag das nicht funktionieren, aber das ist in Ordnung so. Mit unserem Kundenportfolio können wir uns weiterentwickeln, und dann können wir in der Reinigung auch wirklich ein Image schaffen, das in Kombination mit „Sichtbarkeit untertags“ die Attraktivität dieses Arbeitsmarktes gut unterstützen wird.

Schlussrunde: Der Branche geht es ja nicht schlecht. Das soll hier auch keine Jammer-Veranstaltung sein….

Peter Edelmayer: Nein, wir zeigen hier unsere Situation auf, aber auch Lösungsmodelle. Wir versuchen ja, dem Kunden zu zeigen, welche Lösungen für welche Problemstellung wir anzubieten haben. Das klappt nicht immer, manchmal scheitern wir auch bei einem Innovationsthema, aber wir versuchen vieles. Wir sehen aber auch, dass diese Versuche teilweise nicht angenommen werden, und am Ende sind wir wieder da, wo es nur um den Preis geht. Wir wollen auch den Mitarbeitern mehr zahlen, aber wie sollen wir das machen? Ich kann nicht mehr zahlen und dann nichts mehr verdienen. Wenn es ein Modell gäbe, bei dem ich den Mitarbeitern mehr zahlen und dabei auch noch etwas verdienen könnte, wäre ich der erste, der den Mitarbeitern mehr zahlen würde. Aber ich habe ein solches Modell noch nicht gefunden. Ich bin abhängig vom Auftraggeber und vom Kollektivvertrag. Höhere Löhne können wir leider nicht zahlen. Dazu bräuchte ich auch die andere Seite, die müsste uns unterstützen. 

Erich Steinreiber: Ich möchte nur ein Beispiel nennen. Wertschätzung heißt nicht nur korrekte Bezahlung, sondern auch, sich um den Menschen kümmern. Und das kostet nichts. Meine langjährige Erfahrung ist: Wenn man die Menschen wertschätzt, sind sie loyal zum Unternehmen. Wenn ein Mitarbeiter bei diesem oder jenem Arbeitgeber das gleiche bezahlt bekommt, machen immer noch die Führungskräfte einen Unterschied aus. Und das ist das ISS-Credo, sprich: wir wollen Führungskräfte haben, die das, was unsere Menschen jeden Tag machen, schätzen. Und, was wir als ISS für die Menschen in Zusammenhang mit COVID gemacht haben: Ich hätte gerne jedem 1 Euro mehr gezahlt, aber das wäre bei uns 1 Million im Jahr, und das können wir uns nicht leisten. Deshalb haben wir eines gemacht, und das ist auch Wertschätzung: Mein Management-Team und ich haben voriges Jahr in einem Quartal auf 40 Prozent unseres Gehalts verzichtet und dieses Geld in einen Sozialtopf gegeben, der von unserem Betriebsrat verwaltet wird, um jene Mitarbeiter zu unterstützen, denen es in der COVID-Zeit schlecht gegangen ist. Das ist auch Anerkennung und Wertschätzung für den Menschen. Diese Verantwortung können wir nicht abgeben.

Michael Freitag: Dem kann ich mich nur anschließen. Wir haben ähnlich gute Erfahrungen mit Sozialfonds und ähnlichen sozialen Maßnahmen. Wenn man das zum Beispiel verpflichtend für die Unternehmen einführen würde, um Mitarbeiter, die unverschuldet in eine Notsituation kommen, zu unterstützen, wäre das ein wichtiger Beitrag zur Wertschätzung für diese Mitarbeiter. Und – ich unterstreiche auch, dass die Führungskräfte entscheidend sind, wie man sich um die Mitarbeiter kümmert. Das kostet Zeit, aber diese Zeit ist gut angelegt.

Ursula Simacek: Ich sehe es genauso. Die MitarbeiterInnen sind das Wichtigste, was wir haben. Und hier in soziale Nachhaltigkeit und Programme zu investieren, wo sich unsere Leute wohlfühlen und loyal zum Unternehmen sind, ist wirklich das Wichtigste. Und in der Pandemiezeit kann man stärker als je zuvor betonen, dass wir systemrelevant sind. Unsere Dienstleistungen werden immer gebraucht, und in diesen Zeiten umso mehr. Das heißt, in der Reinigung zu arbeiten, ist ein sicheres Arbeitsumfeld, damit können wir auch punkten. Und wenn wir es auch noch schaffen, unsere MitarbeiterInnen zu motivieren, mit Top-Führungskräften, die diesen Ansatz auch teilen, dann haben wir schon gewonnen.

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