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Industriereinigung im Umbruch

Nur mit dem Abstauben von Maschen oder Hallenreinigung ist kein Staat mehr zu machen. Die Industriereinigung hat sich zu einer extrem dynamischen und komplexen Dienstleistung entwickelt. Das merken auch kleinere oder wenig spezialisierte Anbieter. Sie tun sich schwer, noch mitzuhalten.

Text: Heinz van Saanen

Erich Steinreiber
ISS setzt seine Konzentration auf Kernbereiche und die Integration von Services fort. Bei den kostengeplagten Kunden kommt die hohe Eigenleistungstiefe gut an. ISS-Österreich-Chef Erich Steinreiber vermeldete für 2011 ein Umsatzplus von sieben Millionen Euro. Die Sparte „Industrie und Produktion“ bleibt das zweitgrößte Kundensegment.

Vom Wohl und Wehe der Industrie, sieht man von weitgehend deindustrialisierten Ländern wie England ab, hängen ganze Volkswirtschaften ab. Der Ansatz, „echte“ Produkte zu erzeugen, anstatt sich gegenseitig nur Finanzprodukte, Fish and Chips oder Hamburger zu verkaufen, dürfte einen gewissen Charme haben. Selbst in den schlimmsten Zeiten der Finanzkrise haben in Deutschland die Sektoren Automotive und Maschinenbau – zumindest vergleichsweise – noch zu einer Art Sonderkonjunktur geführt. Österreich mit seiner außerordentlich fitten Zulieferindustrie im Schlepptau. Ähnlich wie die Logistikbranche dürfte auch Facility Management – und hier insbesondere industrienahe Bereiche wie Industriereinigung oder technisches Facility – zu den Sektoren zählen, die Studienautoren und Consulter wie Seismologen beobachten. Die Logistiker sind extrem gute Frühwarnindikatoren. Monate bevor Statistiken oder gar Presseberichte öffentlich werden, spüren sie die Veränderung der Auftragslage in den nachgefragten Transportkapazitäten. Beim industrienahen Facility dürften die Zyklen etwas abgewandelt stattfinden. Der Trend zu Outsourcing ist ohnehin ungebrochen. Leicht gebremst wird er jedoch laut Lünendonk-Studien oder Roland Berger in den Spitzen der Krise, um in der Erholungsphase umso stärker wieder anzuziehen.

In Stein gemeißelt ist aber im Sektor Industriereinigung ohnehin nichts. Neben der geänderten Konjunkturlage können auch technische oder allgemeine Marktentwicklungen das Gefüge vergleichsweise „blitzartig“ verschieben. Der Industrieriese Voith vermeldet im jüngsten Halbjahresbericht robuste Wachstumskurven und „durchwegs positive“ Umsatz- und Ergebnisentwicklung. Mit Ausnahme des Papiersektors, der durch die Digitalisierung einen rasanten und schneller als gedachten Strukturwandel durchmacht.

Einen gewissen Einfluss könnte das auch auf die Geschäftsfelder des österreichischen Industriereinigers DIW haben. Haupteigentümer der Voith-Tochter DIW ist die Voith Industrial Services Beteiligungsverwaltung, aber auch die Voith Paper GmbH hält 7,5 Prozent. Die DIW ist auch ein gutes Beispiel für den tief greifenden Strukturwandel, den die Branche durchgemacht hat (siehe auch Kasten „Triebkräfte“). Nach der Gründung in den 70ern war die DIW zunächst nicht viel mehr als ein „normaler“ Gebäude­reiniger. Mit den Wurzeln hat die heutige DIW nichts mehr gemein. Heute zählen prozessorientierte Dienstleistungen mit Industriekompetenz, technische Industriereinigung oder Instandhaltung. Ergänzt um Lichtmanagement – zeitgemäß auf moderner LED-Basis. Der maßgebliche Treiber für die Industriereiniger sind die Kunden. Zumal Reinigung oder Wartung von Maschinenparks oder Produktionsanlagen nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen von VOEST, BMW, Wienstrom und Co. zählen. Und unkalkulierbare Stehzeiten wegen Reinigung oder Wartung sind das pure Gift. Umso mehr freuen sich die Industriereiniger über den stetig steigenden Outsourcing-Druck ihrer Kunden, sind aber auch mit stetig steigenden Anforderungsprofilen konfrontiert. Ein Zauberwort für die Branche ist Kernkompetenz. Das ist gleich doppelt gemoppelt. Einerseits schärfen die Anbieter unablässig ihr eigenes Profil. Der Branchenriese ISS etwa fährt seit Jahren ein entsprechendes Programm und nennt es leicht provokant „Weniger ist mehr“. ISS verschlankt und optimiert damit aber nicht nur seine eigenen Prozesse. Natürlich sollen die Kunden davon profitieren, die ebenfalls ihre Prozesse verschlanken und optimieren.

Harte Bandagen, neue Technologien

Wolfgang Grunert
„Es lässt mich halt nicht los“, sagt Wolfgang Grunert, Jahrgang 42 und Chef der S.I.S-Gruppe. Stolz ist der Firmenchef etwa darauf, dass viele Kunden und ein großer Anteil der über 2000 Mitarbeiter seit Jahrzehnten an Bord sind. S.I.S-Pressedame Elisabeth Kaiser streut dem „Unternehmer alter Schule“ Rosen: „Sein Wort gilt weit über den nächsten Quartalsabschluss. Mit mehr von seiner Sorte hätte uns die Finanzkrise niemals so stark erwischt“.

Das Match um die besten Kunden im Industriesektor ist hart. Dabei zählen nicht nur „harte“ technische Aspekte, die ohnehin das A und O sind. Für internationale Industriekunden zählen auch die Verwaltung von Einsatzplänen, Aufgabenplanung oder die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften. Am besten länderübergreifend, nachdem die Konzerne auch die Anzahl ihrer Kostenstellen minimieren. Das ist nicht nur ein impliziter Zwang zur Größe, sondern auch für manche heimische KMU ein Problem. Der Geschäftsführer eines veritablen Mittelständlers – seinen Namen mag er lieber nicht lesen – klagt Off Records sein Leid: „Wir haben 300 Mitarbeiter, sind aber kleine Würschtel“. Industriereinigung könne er zwar und bietet das auch an. Attraktiv sei das aber nicht. „Warum soll ich 50.000 Euro in Kesselauswaschungs-Equipment investieren, wenn die Bundesbeschaffungsbehörde hauptsächlich große Anbieter bevorzugt. Oder, noch schlimmer, wenn ich mit den Kosten dann alleine dastehe. Nach serbischen und türkischen Kurzzeitgeschäftsführern boomen jetzt die GF‘s aus Bulgarien und Rumänien.“ Marktanteile würden ohnehin gekauft und nicht erworben. Ein Schlaglicht am Rande: Der Geschäftsführer einer der spezialisierten heimischen Industriereinigung-Anbieter mit gut 200 Mitarbeitern will zu Marktlage oder Übernahmen „lieber gar nichts“ sagen. Die Kriege der heimischen Branche dürften sich freilich nur bedingt bei Preisen und Marktanteilen abspielen. Was zählt, sind auch Dienstleistungen, die länderübergreifend erbracht werden können. Dafür agieren die Industriereiniger selbst länderübergreifend – oder sind extreme Spezialisten. Spezialistentum heißt in der Branche übrigens nicht nur Verschlankung der eigenen und letztendlich der Kundenkernkompetenzen. Zumeist geht die Verschlankung auch mit einer Verbreiterung des eigenen Anbieterprofils Hand in Hand. Dann zählt nicht nur spezielle Industriereinigungskompetenz, sondern auch die Einbindung in Prozesse oder übergeordneter Dienstleistungen.

Das klingt banal, aber wer kümmert sich um die Verträge? Oder etwa um die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften bei Arbeitsrecht oder Industrienormen für Betrieb und Umweltschutz? Auf der rein technischen Seite haben die Industriereiniger ohnehin schon gewaltig aufgerüstet. Therm Service, eine Tochter der S.I.S-Gruppe, bringt bei Kraftwerks­inbetriebnahme und -reinigung neue kostensparende und umweltfreundliche Technologien ins Spiel. Nicht nur im Kraftwertwerk Simmering, sondern rund um die ganze Welt. Wer ebenfalls davon profitieren möchte, muss sich sputen. Die Therm Service ist locker bis 2015 oder 2016 zu bis über die Decke. Eine kleine technische Revolution: Therm Service putzt mit patentierten Flusssäureverfahren zerstörungsfrei die Innenwände von Rohrleitungen oder Kühlsystemen. Für die Reinigung von Maschinen kommen mittlerweile nicht nur Wasserhochdruck oder Ultraschall sondern auch spezielle CO2 -Trockeneisreinigungsverfahren bei Niedrigsttemperaturen zum Einsatz.

Manchmal ist aber nicht nur Technik gefragt, sondern auch Mut. Wo Gerüste zu teuer sind und Maschinen noch nicht hinkommen, sind professionelle Industriekletterer gefragt. Diese reinigen in schwindelerregenden Höhen nicht nur Schornsteine und Silos, sondern auch unzugängliche Brennkammern, Silos oder die Rotoren von Windkraftanlagen. Ein Druck zur Größe und Internationalisierung ist selbst in solchen Spezialbereichen spürbar. Die „Alpine Technologie Tirol“ reinigt etwa die Rotorblätter von Windstromanlagen in mittlerweile 20 Ländern der Welt.


Triebkräfte für Industriereinigung

Outsourcing: wie in vielen Branchen auch in der Industrie das Zauberwort für Kostensenkung. Industriereinigung oder Wartung zählen nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen, eine Auslagerung liegt nahe. Laut Marktforschen wie Lünendonk oder Roland Berger wird der Trend zu Outsourcing oft nur krisenbedingt kurz gebremst, geht aber in Erholungsphasen ungebrochen weiter.

Transformation: Das Geschäft mit komplexen Industriedienstleistungen ist lukrativer als simple Reinigung. Die österreichische Voith-Tochter DIW beispielsweise war in den 70ern noch eine Gebäudereinigungsfirma. Heute ist DIW ein spezialisierter Dienstleister rund um industrielle und technische Reinigung, Instandhaltung und infrastrukturelles Facility.

Integration: das Manna der Branche. Aus Vereinfachungs- und Kostengründen verringern die Industriebetriebe die Anzahl der Vertragspartner. Gleichzeitig steigen damit die Anforderungen an die Outsourcer. Wer nur wenige oder ausschließlich Dienstleistungen für klassische Industriereinigung im Portfolio hat, hat schlechte Karten – außer er ist extremer Spezialist. Integriert wird aber auch vertikal. So entwickeln sich Spezialisten für Automotive oder die E-Wirtschaft.

Kernkompetenz: ebenfalls ein magisches Wort. Die Branchenriesen feilen unentwegt an ihrer eigenen Kernkompetenz und ihrem Portfolio, um den Kunden die Konzentration auf das Kerngeschäft zu erleichtern. So gibt es im Industriebereich nichts mehr, was nicht extern gereinigt, gewartet oder supported werden kann. Das beginnt bei Hallenreinigung und endet bei Schmiermittelaufbereitung für CNC-Anlagen oder Reinraumreinigung in der Raumfahrtindustrie.

Wachstum: Dass die internationalen Industriebetriebe die Zahl der Outsourcer minimieren, verändert auch die Struktur der Anbieter. Nach dem Motto „folge dem Kunden“ ist auch Größe ein Trumpf. Marktanteile, Größe und Eigentümer können sich schnell verschieben. So wurde Ende 2011 die Übernahme von ISS durch GS4 – beide Unternehmen hätten einen Konzern mit über einer Million Mitarbeitern geformt – abgeblasen. Dafür hat ISS seit Mitte August zwei neue Daueranleger, die 500 Millionen Euro investierten.

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