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Grüssinger geht nach Rom

Der Geschäftsführer von KÄRCHER ÖSTERREICH verlässt im erfolgreichsten Jahr das Unternehmen.

Text: Christian Wolfsberg

Natürlich ist es purer Zufall. Am gleichen Tag, an welchem Alfred Kärcher SE in Winnenden erstmals das Überschreiten der 3 Milliarden Umsatzschwelle vermeldete, wurde bestätigt, dass Michael T. Grüssinger, Geschäftsführer von Kärcher Österreich, mit Ende April das Unternehmen verlassen wird. Auch in Österreich hatte Kärcher 2021 das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte. Grüssinger geht dennoch nach Rom.

30 Jahre

Michael T. Grüssinger heuerte vor über 30 Jahren, am 3. September 1991, bei Kärcher an. Das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: 1991. Das war das Jahr des II. Golfkriegs, der Kriege in Jugoslawien, der Auflösung der UdSSR und das Jahr, in dem Ayrton Senna zum letzten Mal Weltmeister wurde. Grüssinger war also gefühlt ewig ein Teil dieser Branche und ewig mit Kärcher assoziiert. „Ich blicke extrem positiv auf mehr als 30 Jahre zurück und freue mich natürlich wahnsinnig über das Rekordjahr 2021 in Österreich und International zu meinem Abgang.“ Nach dem Abschied im April geht es zunächst nach Rom – besser gesagt, Grüssinger geht nach Rom: „Ich nehme mir zum ersten Mal in meinem Leben eine echte Auszeit und werde im Mai beginnend die etwa 1.100 km nach Rom zu Fuß gehen. Mich hat Geschichte immer schon fasziniert, und für einen Geschichtsfanatiker wie mich ist Rom das perfekte Ziel – und erstaunlicherweise war ich noch nie dort! Für mich wird das so eine Art Jakobsweg ohne Jakob. Ich werde in diesen 2 ½ bis 3 Monaten – so lange geht man über die Alpen und den Apennin nach Rom – viel Zeit haben über alles nachzudenken; es wird wohl eine Art innere Bestandsaufnahme. Ich werde demnächst 60, aber ich gehe noch nicht in Pension, auch nicht in Frühpension, daher fühlt es sich auch nicht wie ein Abschied aus dem Berufsleben an. Die Pension ist etwas Vorgegebenes, bei mir ist es etwas Gewähltes, ein gewählter Ausstieg. Ich weiß auch nicht, was ich danach machen werde. Der Abschied kommt für mich zum richtigen Zeitpunkt und er schafft Optionen, stellt aber auch viele Fragen.“
Grüssinger betont, dass sein Ausstieg jetzt richtig ist und von beiden Seiten im Herbst quasi erarbeitet wurde. „Ich habe mir im Laufe der Zeit unterschwellig schon auch die Frage gestellt, ob es nach 30 Jahren Kärcher noch etwas anderes gibt, ja geben kann. Es war insgesamt eine tolle Zeit: Bevor ich zu Kärcher kam, war ich 4 Jahre im Ausland und wollte dann nach Österreich zurück. Kärcher suchte damals einen Exportleiter für Zentral- und Osteuropa und da habe ich zugeschlagen, obwohl ich am Anfang eine One-Man-Show war – ich leitete mich selbst. Letztlich hatte ich dadurch die große Chance, 8 Auslandsgesellschaften aufzubauen und zu führen. Nun aber gehört Kärcher Österreich seit Anfang 2021 zur Region Europe Central. Neben Österreich umfasst diese Gruppe die Niederlande, Belgien, Luxemburg und die Schweiz. Es sind die kleinen westeuropäischen Länder zusammengruppiert unter der Regionsführung in Amsterdam – es liegt wie das alte Burgund im 15. Jahrhundert zwischen den zwei Großen Frankreich und Deutschland. Die ehemals von uns geführte Region CEE wurde zweigeteilt – die Russland- und Nicht-Russland-Gruppe. Durch all diese Änderungen drängte sich für Kärcher und mich dann die Frage auf, ob wir diese neuen Aufgaben und Herausforderungen noch gemeinsam angehen wollen oder ob das nicht der richtige Zeitpunkt wäre, wo sich beide Seiten noch neu orientieren sollen und können. Die freundschaftliche, beiderseitig einvernehmliche Trennung ist das Resultat.“ Grüssinger geht also, wird über seine berufliche Zukunft nachdenken, wird aber mit Sicherheit nicht in der Branche bleiben: „Ich bin ein Umsetzer, kein Berater oder Konsulent!“ Jedenfalls: Die Suche nach Grüssinger 2.0 ist in vollem Gange.

Vorausschauend

In einem unserer vielen Interviews hat Michael T. Grüssinger im April 2008 von „den goldenen Zeiten der Reinigung“ gesprochen. Gibt es sie nun wieder? Grüssinger, fast 14 Jahre später: „Es sind ganz seltsame Zeiten. Kärcher und nahezu die gesamte Reinigungsbranche steigen derzeit sehr gut aus – auch aufgrund der Pandemie. Wir sind in dieser Branche aber nicht alleine; auch anderen geht es sehr gut; zum Beispiel DIY (Do It Yourself), alle Handwerke, der Bau. Es werden aber auch wieder andere Zeiten kommen, und da muss man gut aufgestellt sein. Nicht nur gut, man muss immer besser aufgestellt sein!“
Bei seinem Einstieg bei Kärcher war die Landschaft noch eine andere: „1991 hatten wir einen Produktkatalog. Da waren zuerst die Hochdruckreiniger, dann auf den nächsten Seiten waren … Hochdruckreiniger und auf den Seiten dahinter waren … Hochdruckreiniger. Nun sind wir längst Vollsortimenter, und der Markt ist insgesamt ein riesiger geworden. Dieser Markt (Anm.: Kunden und Dienstleister) will meiner Meinung nach am liebsten alles aus einer Hand beziehen. Daher glaube ich, es wird zu weiteren Zusammenschlüssen kommen. Wir stehen jetzt vor dem nächsten großen Schritt: dem Schritt in die Robotics. Das wird in den nächsten 5–7 Jahren kommen und einen gewaltigen Einfluss haben – getrieben und unterstützt vom zunehmenden Mangel an Arbeitskräften in allen Bereichen. Alles rund um Hygiene boomt und hat durch die Pandemie weltweit einen ganz anderen, höheren Stellenwert bekommen.“
In der aktuellen Zeit kommen für Grüssinger die beiden unterschiedlichen Seiten der Branche, wie bei einer Medaille, immer deutlicher zum Vorschein: innovativ versus herkömmlich-gediegen. Er spürt ein großes Wollen, das da jederzeit und ganz plötzlich in Veränderungen und Neuem münden kann. „Robotics wird sicher kommen. Es gibt den Bedarf und die Notwendigkeit, denn es gilt, immer größere Flächen sowohl horizontal als auch vertikal zu bearbeiten, und es fehlt an Personal. Wir – die Branche und Kärcher – sind gefordert zu forschen und zu entwickeln.“
„Ich denke, in Zukunft wird sich die Reinigungsbranche immer mehr differenzieren. Einerseits wird das zu mehr Konzentration führen – einer für alles – andererseits aber auch mehr Spezialisten hervorbringen. Die Industrie muss immer schneller agieren und reagieren und dabei auch die Zeichen der Zeit berücksichtigen, etwa: Wie sinnvoll ist der Transport von Chemie quer durch Europa, wenn zu 95 % Wasser transportiert wird? Die Branche wird weiterwachsen und ist, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, mehrfach krisenresistent. Reinigung ist einfach ein unverzichtbares Grundbedürfnis. 30 Jahre Kärcher: Es war unheimlich spannend, ständig an sich zu arbeiten mit dem unbändigen Willen, sich weiterzuentwickeln, ohne dabei auf Tugenden wie Menschlichkeit zu vergessen.“ j

post scriptum:
Ich möchte mich persönlich für die wertschätzende Zusammenarbeit bedanken und wünsche noch viele spannende Herausforderungen. Die Selbstreflexion in Form der Rom-Wanderung ist beindruckend. Respekt! Mit Horaz: „Alme Sol, curru nitido diem qui promis et celas aliusque et idem nasceris, possis nihil urbe Roma visere maius.“
Christian Wolfsberg

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