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Der Markt zwischen Adrenalin und Paragraphen

Ohne Höhenarbeiter wären Fassaden verdreckt und Produktionsanlagen stünden still. Was Höhenarbeiter für Reinigung und Industrie leisten, wie sie um Märkte und gegen Dumpingpreise kämpfen. Wenn Haftungsfragen ins Spiel kommen, kann billig freilich schnell auch teuer werden.

Text: Heinz van Saanen

Harry Kollmitzer
„Der Markt ist ein großer Hype geworden, in dem sich dutzende Kleinstunternehmen tummeln“, sagt Harry Kollmitzer, Chef der Kärntner „AlpinCenter“. Viele der Anbieter operieren laut Kollmitzer in „einer gewaltigen Grauzone“. Ein Resultat des Wildwuchses sind rund ein Dutzend schwere Unfälle pro Jahr.

Im Internet gibt es auch zu eher trockenen Themen bisweilen sehr charmante Videos zu sehen. Die britische Firma Ionic Systems etwa erklärt technische Neuheiten im Bereich Fassadenreinigung anhand einer Demo, die einen auf eine Zeitreise mitnimmt. Das Intro zeigt, wie noch in den 50er, 60er Jahren gearbeitet wurde. Von der Zentrale schwärmt ein Trupp „Höhenarbeiter“ aus: Auf klapprigen Waffenrädern, auf den Rücken eine Leiter geschnallt, auf der Lenkstange ein Küberl und ein Putzfetzen. Dass sich das Video auf einer englischen Webseite findet, ist auch kein Zufall. Ausgerechnet das wenig gebirgige England gilt als so etwas wie das Mutterland der professionellen Höhenarbeit. Der Anschub zur Professionalisierung lieferten vor allem die Nordsee-Ölplattformen, wo durch mangelndes Risk-Management immer wieder teure und vermeidbare Unfälle passierten. Kein Wunder also, dass die weltweit wirklich einzig anerkannten „ISO-Zertifikate“ für Höhenarbeit von der englischen „International Rope Access Trade Association“ (IRATA) stammen. „ISO“ ist natürlich unter Anführungszeichen zu sehen, die normative Wirkung der IRATA-Regeln dürfte jedoch vergleichbar sein. Dass das „Flachland“ England eine Führungsposition einnimmt, zeigt noch etwas. Bergfexe und Adrenalinjunkies auf der Suche nach dem Kick haben in der Branche nichts verloren. Im Gegenteil, wer seine Bewerbung bei einem der Profi-Anbieter mit „ich bin ein begeisterter Kletterer“ einleitet, hat fast schon verloren. „Solche Bewerbungen bekomme ich im Dutzend. Wer so einleitet, landet gleich in der Rundablage“, sagt etwa Harry Kollmitzer, Chef der Kärntner „AlpinCenter“. Wirklich gesucht werden etwa ausgebildete Dachdecker, Schlosser, Stahlbaumonteure, Ziviltechniker oder Baufachleute. Kletterkünste schaden natürlich nicht, aber eine Voraussetzung sind sie nicht. „Wenn die Bewerber noch nicht klettern können bringen wir ihnen das schon bei“, so Kollmitzer. Dieses Credo hört man – ähnlich lautend – quer durch die Branche. „Viele sehen den Beruf des Höhenarbeiters verklärt. Aber man muss einen strengen Schnitt zwischen Alpinisten und Professionalisten machen“, sagt beispielsweise Andreas Geisler, Geschäftsführer der Innsbrucker „offground solutions“. Die verschärften Qualifikationsanforderungen gelten zumindest für die fest angestellte Kernbelegschaft. Ohne einen Pool von freien Mitarbeitern dürfte kaum ein Anbieter auskommen. Dafür sorgt schon die österreichische KMU-Struktur. In Deutschland werden noch Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern als KMU gehandelt, in Österreich typisch solche mit 10. Trotz der relativen Kleinheit haben einige heimische Anbieter den Sprung über die Grenzen geschafft und warten beispielsweise deutsche Windparks oder Industrieanlagen oder haben dort Niederlassungen und Vertretungen.

Andreas Geisler
„Viele sehen die Branche verklärt, aber man muss einen strengen Schnitt zwischen Alpinisten und Professionalisten machen“, sagt Andreas Geisler, Gschäftsführer der Innsbrucker „offground solutions“. Die Branche brauche hochspezialisierte Fachleute und keine Hobbyisten.

Kommt dann noch ein „spontaner“ Großauftrag zustande, sind die Auslastungsspitzen ohne „Freie“ auch für seriöse Anbieter kaum zu bewältigen. Die heimische Branche der Höhenarbeiter hat sich also massiv professionalisiert, aber wie alt ist sie eigentlich? Die Antworten fallen etwas unscharf aus. Eine ziemlich treffende Charakterisierung gelingt Rene Terp, einem der beiden Inhaber der Wiener Firma „Seilkletterarbeiten“ und des dazu gehörigen „Industrieklettershops“ für einschlägige Spezialausrüstung. „Den Markt und die Nachfrage hat es immer schon gegeben, nur die Anbieter dazu nicht“, meint Terp. Diese seien in Österreich erst um die Jahrtausendwende herum entstanden. Tatsächlich finden sich um 2000 herum die ersten Firmenbucheinträge der meisten heutigen Platzhirsche wieder. Die vergleichsweise eher junge Branche hat nicht ohne Grund einen gewissen Hype erlebt. Die Umsetzung „seilgestützter Zugangskonzepte“ klingt nicht ganz so sexy, extrem sexy klingen hingegen die handfesten Kostenvorteile. Der wirklich teure Gerüstbau kann in vielen Fällen durch wesentlich günstigere Höhenarbeiter substituiert werden. Zumindest in Österreich, wo die Rahmenbedingungen vergleichsweise liberal sind. So wie man nicht erwarten würde, dass die „Flachländer“ in England beim Risk-Management von Höhenarbeiten Vorreiter waren, würde man nicht erwarten, dass die „Alpinisten-Nation“ Schweiz eher einen „Nachzügler“ abgibt. Vereinfacht gesagt: wo in der Schweiz nur irgendwie ein Gerüst aufgestellt werden kann, muss es auch aufgestellt werden. Nicht gerade ein Viagra für die lokale Schweizer Branche. So sehr das eher rigide Schweizer Modell die dortige Branche vielleicht auch dämpft, auch im ziemlich liberalen Österreich ist nicht alles eitel Wonne.


Florierender Markt und harte Bandagen

Den Markt für Höhenarbeit gibt es schon immer, heimische Profianbieter jedoch erst seit rund 10-15 Jahren. Einschlägige Markstudien gibt es nicht, die Insider zeichnen jedoch folgendes Bild. Den „professionellen“ Markt teilen sich nach übereinstimmenden Aussagen rund fünf bis maximal zehn größere Anbieter. Bei den Kleinstfirmen scheiden sich die Geister: je nach Sichtweise sollen es zwischen 20 und 200 sein. Entsprechend divergieren die Umsatzschätzungen. Jährlich soll die Branche zwischen rund 20 und 60 Millionen Euro umsetzen. Der größte Umsatzanteil der Höhenarbeiter dürfte auf Fassadenreinigung entfallen. Neben der Reinigung haben die Anbieter zahlreiche spezialisierte Dienstleistungen im Programm. Industriekletterer reinigen und warten Industrieanlagen und Windräder, entrosten und reinigen Kessel und Kraftwerke, Silos oder Dachaufbauten. Daneben ist die Branche noch im Stahl- und Gerüstbau oder im Plakat- und Beleuchtungssektor tätig. Taubenabwehr, Baumschnitt oder Montagen und Steinschlagschutz im alpinen Bereich gehören ebenso zum Spektrum. In vielen Fällen machen die Höhenarbeiter teure Gerüstbauten überflüssig – der Kostenspareffekt wird von den Kunden dankbar angenommen. Allgemein rechnen die Insider mit einem weiteren Wachstum, wobei noch viele Marktpotentiale brach liegen. Ein gravierendes Problem hat die Branche freilich auch: immer wieder wird von Ungarn, Slowaken und Tschechen berichtet, die den Markt mit irrwitzigen Dumpingpreisen kaputt machen. Mit Details aus Arbeitsschutz, Gewerberecht oder Kollektivvertrag sollen sich die Auslandsanbieter nicht lange abmühen, was den fairen Wettbewerb massiv verzerrt. Bei kolportierten Stundenlöhnen bis hinunter zu drei Euro kann kein seriöser Österreicher mithalten.


Zwischen Hype, Dumping – und Haftung

Rene Terp
„Auch ausländische Billigstbieter müssen sich an heimische Regeln halten“, sagt Rene Terp, einer der beiden GF‘s der Wiener Firma „Seilkletterarbeiten“ über den Mitbewerb aus dem angrenzenden Osten. „Theoretisch zumindest“, so sein Nachsatz.

Explizite Marktstudien gibt es nicht, aber die Befragung von Markteilnehmern zeichnet etwa folgendes Bild. Rund fünf bis maximal zehn Anbieter von „Höhenarbeiten“ dürften den harten Kern der Spezialisten bilden. Darum herum ranken sich eine Vielzahl von Klein- und Kleinstfirmen. Klein muss nicht schlecht heißen, aber sie leben nicht oder nur bedingt davon. Die Einschätzung, wie viele Kleinstfirmen am Markt tätig sind, divergiert je nach Sichtweise und Schärfe der Branchenabgrenzung zwischen 20 und 200. Die erstaunliche Differenz der Einschätzungen ist auch leicht erklärt: Jeder, der sich berufen fühlt, kann so etwas wie ein Gewerbe für „seilunterstützte Arbeiten im absturzgefährdeten Bereich“ anmelden. Voraussetzung oder Befähigungsnachweis null, Kosten je nach Bundesland vielleicht 20-40 Euro – und ein bisschen Zeit für den Amtsweg. Ähnliches gilt für „Zertifikate“.

Gregor Haas
„Von Dumping sind wir etwas weniger betroffen, obwohl manche östliche Betriebe zu einem Viertel meiner Kosten anbieten“ sagt Gregor Haas, Chef der Gröbminger „Die Höhenarbeiter“. Laut Haas kehrt aber ein Viertel seiner Auftraggeber „reumütig“ von den Billigheimern zu ihm zurück.

Die IRATA steht für ziemlich kompromisslose Qualität, ist aber bei „Billigheimern“ durch die teuren Dokumentationsprozesse wenig beliebt. Wer kosten sparen will, holt sich ein „Zertifikat“ in Polen oder sonst wo. Notfalls beim Bergdoktor im Ennstal, Methodistenkirchen in den USA oder einem Guru in Indien. Gar nicht so überspitzt formuliert – qualitativ macht das nicht viel Unterschied. Auch von den heimischen Rechtsnormen her. Zwischen Gurkenkrümmung, Glühbirnen und demnächst wahrscheinlich auch Duschköpfen wird jeder Quargel normativ bis ins exzessive Detail festgelegt. Wo das Rücklicht eines Fahrrades ausfällt, setzt es eine Strafe. Schickt man Höhenarbeiter in wesentlich gefährlichere Situationen braucht es – leicht überspitzt formuliert – genau nichts. Keine Qualifikation, keine Zugangsbeschränkung oder ähnliche Hürden. Haftpflichtversicherungen und allgemeine Rechtsnormen fordern den Anbietern noch eine jährliche Überprüfung der Schulungsmaßnahmen ab. Wie diese tatsächlich aussehen soll, liegt jedoch schon eher im Dunklen. Notfalls reicht auch ein handgeschnitztes und eindrucksvolles Zertifikat eines obskuren „Bergdoktors“. Die eher „harten“ Regelungen setzen auch die Anbieter unter Druck. Entsprechend einhellig sind die Statements der Geschäftsführer.

Andreas Manak
Ein ausländischer Billigstbieter kann teuer kommen. „Die EU-Regeln über Arbeitnehmerentsendung sehen vor, dass österreichische Schutzvorschriften eingehalten werden“, so Rechtsanwalt und Hobbykletterer Andreas Manak. Im Katastrophenfall oder bei Rechtsverstößen haftet bei Ausländerbeschäftigung dann auch der Auftraggeber.

Jammern gilt zwar als Gruß der Kaufleute, aber viel einhelliger geht es nicht. Die Branche wachse zwar immer noch und biete – noch – ungehobene Marktpotentiale. Die Billigheimer aus dem Osten verderben jedoch viele Perspektiven. In der Kritik sind Ungarn, Slowaken und Tschechen die sich angeblich um vorhandene Rechtsnormen herzlich wenig kümmern. Bei weniger spezialisierten Dienstleistungen wie der Fenster- und Fassadenreinigung – der größte Umsatzbrocken des Marktes – sind vor allem bei Vorzeigeprojekten angeblich extreme Dumpingpreise im Vormarsch. „Von Dumping sind wir etwas weniger betroffen, obwohl manche östliche Betriebe zu einem Viertel meiner Kosten anbieten“ sagt etwa Gregor Haas, Chef der Gröbminger „Die Höhenarbeiter“. Ein Viertel der Kosten klingt harsch, dürfte aber bei Reinigung nicht ganz ungewöhnlich sein. Rafael Turzyniecki, Co-Eigentümer der Wiener „Seilkletterarbeiten“, meint etwa, dass die Preise bei der Fassadenreinigung von gut zehn auf unter zwei Euro pro Quadratmeter Putzfläche gesunken seien. Von völlig absurden Stundenlöhnen berichtet wiederum AlpinCenter-Chef Harry Kollmitzer. Auf Baustellen ortet er immer mehr Stahlcontainer, in denen nur ausländische „Höhenarbeiter“ sklavenartig untergebracht seien. Sein Fazit: „Keiner spricht deutsch, keiner verdient mehr als 3-6 Euro die Stunde.“ In Österreich sind Auftraggeber, die ohne Rücksicht nur nach dem günstigsten Preis schielen, fast aus dem Schneider. Aber nur fast – und der Rest kann teuer werden (Details siehe Kasten). „Heimische“ Gesetze nehmen zwar Details wie „Abseilanschlagpukte am Dach“ aufs Korn, wirklich schmerzhaft könnte jedoch die EU-Richtlinie zur Arbeitnehmerentsendung werden. Gut versteckt in EU-Recht, bildet sie laut Rechtsanwalt Andreas Manak „zunehmend ein Thema der heimischen Rechtsprechung“. Indirekt heißt das, dass auch heimische Auftraggeber im Haftungsfall in die Pflicht genommen werden können, sofern sie gegen Mindestregeln verstoßen. Ein Haftungsfall muss nicht unbedingt eine Katastrophe sein. Ist jedoch Ausländerbeschäftigung im Spiel, reichen für den Auftraggeber aber eventuell bereits Rechtsverstöße die sein Auftragnehmer begeht. Billigpreise hin oder her – sparen am falschen Fleck könnte auch für Auftraggeber ziemlich teuer werden.


Hochseilakt im Paragraphendschungel

Während der Gesetzgeber bei Gurkenkrümmung und Duschsparköpfen zur Höchstform aufläuft, nimmt sich der Sektor Höhenarbeit merkwürdig ungeregelt aus. So etwas wie ein „Höhenarbeitergesetz“ oder verbindliche Normen zu Ausbildung, Zerifizierungen oder Arbeitsschutz gibt es nicht. Dafür gibt es eine Reihe von größeren und kleineren Gesetzen, wo die Höhenarbeiter quasi „mitschwimmen“. Etwa das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (AschG) oder die Bauarbeiterschutzverordnung (BauV). Wie die Namen bereits vermuten lassen, liegt der Nachteil der Paragraphenwerke darin, dass sie für die Branche nur sehr allgemeine Richtlinien enthalten. So weiß die Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt AUVA etwa, wie viele Hausfrauen beim Abstauben über die Sesselleiste stolpern, wie viele Todesfälle es unter den Höhenarbeitern gibt wissen die Statistiken jedoch nicht. Dazu kommen noch „lokale“ Gesetze wie die Wiener Baumschutzverordnung, Gewerberecht sowie auf EU-Ebene Richtlinien zu „Personenschutzausrüstung“ oder „Arbeitnehmerentsendung“. Letztere ist Dynamit für allzu forsche Sparefrohs unter den Auftraggebern. Diese sind üblicherweise aus der Haftung. Beauftragen sie jedoch Auslandsunternehmen oder Firmen mit Ausländerbeschäftigung – Stichwort Dumpingpreise –, haften sie nicht nur im Katastrophenfall, sondern auch für die Einhaltung österreichischer Schutzvorschriften. Verstoßen die beauftragten Dumper gegen Arbeitsrecht, Kollektivvertrag, Gewerbeordnung und Co., kann das theoretisch auch für den Auftraggeber teuer werden. Fällt Ausländerbeschäftigung aus dem Kalkül, ist der Auftraggeber aus der Haftung. Fast zumindest. Auch „heimisches“ Recht wie die BauV sieht Stolperfallen vor. Anschlagpunkte zum Abseilen sind etwa kein verzichtbarer Luxus, sondern normativ vorgesehen. Wird hier am falschen Fleck gespart und es kommt zu einem Unfall wird das teuer.


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