Wo ansetzen, wie überzeugen?

Ein Workshop im Rahmen der aktuellen EU-OSHA-Kampagne erarbeitete einen neuen Handlungsplan zur Umsetzung der Tagreinigung in die Praxis.

Ein großer Schwerpunkt der aktuellen EU-OSHA Kampagne 2020/22 „Gesunde Arbeitsplätze – entlasten Dich“ liegt auf der Reinigungsarbeit. Zwar hat die andauernde Corona-Pandemie systemrelevanten Berufen wie der Reinigungsbranche vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt, gleichzeitig sind aber auch die Anforderungen an diese gestiegen. In der Reinigungsarbeit prägen zudem atypische und zerrissene Arbeitszeiten den Alltag vieler Beschäftigter. Dies belastet nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Gesundheit. Hier gelte es rasch ein Umdenken anzustoßen, sind sich Expertinnen und Experten einig. Vorteile bringe beispielsweise der Umstieg auf Tagreinigung.

„Wir wollen die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten beleuchten, deren Arbeit oft unsichtbar bleibt, weil sie ihre Arbeit vor und nach der Arbeit anderer Beschäftigter verrichten“, so Karin Sardadvar, Soziologin an der Wirtschaftsuniversität Wien (siehe auch „Person des Jahres“ S. ??), und weiter: „Die gegenwärtigen Arbeitszeiten beeinträchtigen die Lebensqualität der Beschäftigten in der Reinigung. Doch nationale und internationale Beispiele zeigen, dass ein Umstieg auf Tagreinigung ohne geteilte Dienste möglich ist.“

Das zum Teil negative Image von Reinigungsarbeiten wirkt sich indes nicht nur auf die finanzielle Lage und das psychische Wohlbefinden aus, sondern auch auf die Gesundheit. „Gut untersucht sind etwa Zusammenhänge zwischen beispielsweise mangelnder Wertschätzung und Rückenbeschwerden“, weiß Julia Steurer, Arbeitspsychologin im Zentral-Arbeitsinspektorat. Zusammenhänge von Muskel-Skelett-Erkrankungen mit Arbeitszufriedenheit, emotionaler Anstrengung, Arbeitstempo und Stress seien ebenso bekannt.

Untersuchungen (*) zeigen jedenfalls, dass ein Umstieg auf Tagreinigung für alle Beteiligten Vorteile mit sich bringt. Für Reinigungsunternehmen etwa in Form von organisatorischen Vereinfachungen, für Kundenunternehmen in Form von verbesserter Kommunikation und für Beschäftigte in Form von erhöhter Arbeits- und Lebensqualität sowie gesundheitlichem Nutzen – insbesondere für die Psyche und das Muskel-Skelett-System. 

Soziale Integration des Reinigungspersonals

Wie aber kann die Tagreinigung in die Praxis umgesetzt werden, wo muss man ansetzen und wie können Kundinnen und Kunden vom Umstieg überzeugt werden? Diese und weitere Fragen diskutierten Expertinnen und Experten von Interessenvertretungen, Vertreterinnen und Vertreter führender Reinigungsdienstleister sowie Fachleute vom Zentral-Arbeitsinspektorat, der öffentlichen Hand und der Wissenschaft im Rahmen der digitalen Veranstaltung „Tagreinigung in die Praxis umsetzen – wo ansetzen, wie überzeugen?“ des Zentral-Arbeitsinspektorats, in Zusammenarbeit mit der WU Wien, am 8. November und erarbeiteten weiterführende Lösungen.

Ein neuer Ansatz zielt darauf ab, die Tagreinigung im Zuge von Diversity- und Inklusionsmanagement zu erarbeiten und zu verbreiten – beispielsweise in Unternehmen, die sich zu einem inklusiven Handeln verpflichtet haben. „Da sollte auch das Reinigungspersonal eine Rolle spielen“, so Nadja Miko-Schefzig, Geschäftsführerin von Kompetenzkreis, und weiter: „Mit der Reinigungsarbeit vor oder nach der Dienstzeit aller anderen Angestellten wird Reinigungspersonal ausgegrenzt, was nicht mit dem inklusiven Handeln vereinbar ist. Während hingegen durch Tagreinigung eine soziale Integration des Reinigungspersonals möglich ist.“

Breit angelegte Kommunikationsstrategie vonnöten

„Um Kundinnen und Kunden auf das Thema Tagreinigung anzusprechen und zum Diskurs anzustoßen, ist eine breit angelegte Kommunikationsstrategie von Nöten“, so Julia Steurer vom Zentral-Arbeitsinspektorat. Neben einer Image-Kampagne zur Tagreinigung sehen Expertinnen und Experten auch Best-Practice-Beispiele als wichtiges Werkzeug, um über bereits erfolgte Umstiege auf Tagreinigung – z. B. in der Sonderreinigung oder in Krankenhäusern – zu sprechen und den positiven Wandel zu unterstützen. Mit regelmäßigen Awareness-Veranstaltungen wie dem „Tag der Reinigung“ am 15. Juni dieses Jahres soll die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam gemacht werden. „Besonders vielversprechend fanden wir auch die Idee eines Awards für Tagreinigung“, so Julia Steurer.

Neben der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für das Thema Tagreinigung ist auch die direkte Ansprache von Kundinnen und Kunden der Reinigungsunternehmen ein wichtiger Schritt zum Erfolg. „Im Zuge von Gesprächen mit unseren Kundinnen und Kunden wird immer wieder der Wunsch nach gleichbleibendem Reinigungspersonal geäußert“, sagt Wolfgang Muth, stellvertretender Geschäftsführer der Bundesinnung der Chemischen Gewerbe und der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger in der Wirtschaftskammer Österreich. Der Umstieg auf Tagreinigung habe auch darauf einen positiven Einfluss, die Umstellung steigere nachweislich die Zufriedenheit des Reinigungspersonals, was in weiterer Folge die Fluktuation erfolgreich senke.

Das Selbstvertrauen der Reinigungskräfte stärken

Wie kann man nun Reinigungskräfte, aber auch die Kundinnen und Kunden beim Umstieg optimal unterstützen? Auch hier sind sich die Expertinnen und Experten einig: Eine offene Kommunikation fördere das Miteinander und beuge Missverständnissen vor. „Dies ist nicht nur vor, sondern auch während des Umstiegs auf Tagreinigung wichtig“, betont Claudia Glawischnig von abz*austria. Vor dem Umstieg auf Tagreinigung müssten Kundinnen und Kunden über Vor-, aber auch Nachteile informiert werden. Aber auch Gespräche mit den Reinigungskräften seien wichtig, um ihnen mögliche Sorgen zu nehmen – z. B. die Angst vor der Kommunikation mit Kundinnen und Kunden, so Claudia Glawischnig und Martina Ehrendorfer von abz*austria, die im Rahmen des Projektes FairPlusService mit Reinigungskräften und Reinigungsunternehmen arbeiten. Hierbei könnten sprachliche Unterstützungsmaßnahmen helfen. „Besonders wichtig ist aber auch, das Selbstvertrauen von Reinigungskräften und ihr Bewusstsein über die Wichtigkeit ihrer Arbeit zu stärken“, berichtet Martina Ehrendorfer aus ihrer Arbeit. 

Apropos Kommunikation: Besonders wichtig sei auch, im Kundenunternehmen zu definieren, welche Tätigkeiten vom Reinigungspersonal verübt würden und welche nicht, sagt Ursula Woditschka, Fachbereichssekretärin des Fachbereichs Gebäudemanagement in der Gewerkschaft vida. Zum Beispiel: „Ist die Kaffeetasse von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Betriebes selbst in den Geschirrspüler zu räumen oder wird schmutziges Geschirr vom Reinigungspersonal weggeräumt? Solche Aspekte sind vertraglich vereinbart – wichtig ist, dass auch die Beschäftigten im Kundenunternehmen darüber informiert sind.“

(*) https://www.momentum-quarterly.org/ojs2/index.php/momentum/article/view/3005

https://awblog.at/tagesarbeitszeiten-fuer-reinigungskraefte-ermoeglichen/

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