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„Was für eine dumme Verschwendung!“

Woher kommt das Personal der Zukunft? Welche Ansätze zur Bewältigung des Personalproblems gibt es? Podiumsdiskussion am ReinigungsTag 2022 mit:

  • Franz Schellhorn, Direktor Agenda Austria 

  • Sandra Kern, stellvertretende Landesgeschäftsführerin AMS NÖ

  • Georg Konetzky, Sektionschef im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft

  • Ursula Krepp, Unternehmerin und Landesinnungsmeisterin DFG OÖ

Moderation: Christian Wolfsberg, Herausgeber REINIGUNG AKTUELL

Text: Hansjörg Preims

Welche Möglichkeiten gibt es zumal für die Reinigungsbranche, mehr Personal in den Arbeitsprozess hineinzuführen. Wir haben beim Arbeitsmarktservice angeblich ein Arbeitskräftepotenzial von rund 300.000 Menschen. Etwa 40 bis 50 Prozent davon sind über die letzten Jahre hin Notstandshilfebezieher. Das sind zwar schwankende Zahlen, aber in etwa gehen wir von diesen Größenordnungen aus. Wenn die 300.000 Leute im AMS alle arbeitsfähig sind, warum sind sie dann nicht auch für die Arbeitsprozesse nutzbar?

Sandra Kern, AMS: Zu dem Potenzial von 300.000 Menschen im AMS muss man wissen, dass diese Zahl extrem rückläufig ist. Wir haben eine sehr hohe Beschäftigung, hatten 19 Monate lang eine rückläufige Arbeitslosenquote, wir sind hier auf dem Niveau von 2008. Man muss aber auch dazu sagen, dass jeder dritte von diesen Menschen gesundheitliche Einschränkungen hat, seien es psychische oder körperliche Einschränkungen. Aber auch für die sind wir sehr erfolgreich, brauchen dafür allerdings etwas Zeit. Jemand mit einem Bandscheibenvorfall oder einem psychischen Gutachten ist nicht so einfach in einen Arbeitsprozess zu integrieren. Es funktioniert, aber wir brauchen eine Vorlaufzeit, eine Stabilisierungsphase und oft auch eine Begleitung. Wir haben in den Betrieben immer wieder auch das Thema Onboarding (Integration neuer Mitarbeiter in ein Unternehmen, An. d. Red.) bei qualifizierten Arbeitssuchenden oder MitarbeiterInnen. Es würde uns sehr helfen, wenn jemand da wäre, der die Menschen begleitet. Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit den ersten Tag wieder arbeiten – da bitte ich um Verständnis für jeden einzelnen, wenn das nicht immer ganz so einfach vonstatten geht. Das sind alles keine Verhinderungen, aber es braucht etwas Zeit. Wir haben in Niederösterreich in jedem Bezirk Beschäftigungsprojekte, wo wir die Menschen wieder fit machen für den Arbeitsmarkt, wir haben eine gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung mit einer entsprechenden Begleitung. Und – Stichwort „Fairness der Versichertengemeinschaft“: Wir sanktionieren in Niederösterreich auch am stärksten. Es gibt diesen Mythos, arbeitslose Menschen würden in Betrieben nur vorstellig werden, um sich einen Stempel für das AMS zu holen. Das Problem ist – wenn Sie als Unternehmen nur den Stempel hergeben, hat das AMS in der Tat keine Handlungsmöglichkeit. Wenn sich aber jemand irgendwo bewerben sollte und wir dann die Rückmeldung vom Unternehmen bekommen, dass er sich beworben, die Stelle aber nicht angenommen hat, dann können wir auch sanktionieren. Wobei wir auch immer öfter hören, dass Unternehmen das nicht gern machen würden, sie würden keine Vernaderer sein wollen. Das ist zwar irgendwie verständlich, aber hier geht es nicht um Vernadern, sondern um den Vollzug eines Gesetzes. Wenn wir diese Rückmeldung nicht bekommen, haben wir keine Möglichkeit. 

Herr Schellhorn, haben Sie in diesem Zusammenhang einen Einwand, einen Wunsch an das AMS? 

Franz Schellhorn, Agenda Austria: Ich glaube, dass das AMS hier der falsche Ansprechpartner ist. Das AMS exekutiert das, was politisch möglich und machbar ist. Und da passiert auch viel Gutes. Man muss von politischer Seite her definieren, was man will. Ob man Zuwanderungsland sein will. Wir müssen aufgrund der schrumpfenden Bevölkerung ein Einwanderungsland sein, aber welche Zuwanderung will man? Andererseits – wo aktiviert man sonst Arbeitskräfte. Da würde ich sagen, dass man zum Beispiel im Bereich Frauen und auch für Menschen, die das Pensionsalter erreicht haben, entsprechende Anreize setzen könnte.

Was will die Politik? Welche Impulse gibt es von Seiten der Politik für den Arbeitsmarkt? Oder wird hier nur bis zur nächsten Landtags- oder Nationalratswahl gedacht? 

Georg Konetzky, BMAW: Natürlich macht sich die Politik entsprechend Gedanken. Allerdings haben wir eine Regierung, in der all diese Themen koalitionspartnerschaftlich besprochen werden müssen, und da ist immer die Frage, zu welchen Kompromissen man kommt. So gibt es in dieser Koalition auch Gespräche über die Reformierung des Arbeitsmarktes, ich kann Ihnen aber noch keine entsprechenden Ergebnisse präsentieren. 

Die Politik ist diejenige, die sozusagen „anschafft“. Was wird in diesem Zusammenhang derzeit „angeschafft“?

Konetzky: Ich bin im Ministerium speziell für die Gewerbeordnung zuständig, nicht für das AMS-Gesetz, kann aber sagen, dass man sicher an den Schräubchen „geringfügig beschäftigt – Zuverdienstgrenze“ wird drehen müssen. Das sind aus meiner Sicht auch die Drehscheiben, wo man hier eine Veränderung herbeiführen kann. 

Stichwort Arbeitskräftepotenzial von 300.000 Personen – aus diesem Pool müssten doch relativ viele Arbeitskräfte zu holen sein. Zumal es gerade in der Reinigungsbranche kaum jemanden geben dürfte, der aus diesem Pool rausfällt – es ist letztlich eine Einsteiger-Branche. Frau Krepp …

Ursula Krepp, LIM OÖ: Wir haben keine 300.000 Menschen zur Verfügung, denn ein Drittel ist schlichtweg gesundheitlich beeinträchtigt und fällt somit schon mal raus. Und die bleiben aus meiner Sicht auch draußen, weil man hier die Frühpensionierung zu Lasten des AMS verschoben haben, wir sind hier in Österreich ein finanzieller Verschiebebahnhof. Diese Personen stehen uns also eher nicht zur Verfügung. Und dann haben wir noch ca. 80.000 Langzeitbeschäftigungslose, auch die ziehen wir von dem angesprochenen Pool mal ab, wenngleich ich hier Potenzial sehe, das man nutzen könnte, vor allem wenn die Geringfügigkeitsgrenze bzw. der Zuverdienst für arbeitslose Menschen fällt. Das ist ein muss und auch eine Forderung von uns an das Arbeitsministerium, ich glaube, der Arbeitsminister hat uns auch schon deutlich gehört. Und dann bleiben 100.000 Menschen, die immer in Aus- und Weiterbildung sind. Auch da habe ich schon Vorschläge gemacht. Ich sehe oft Erwerbsbiografien, wo Bewerber den dritten oder vierten Deutschkurs haben, den fünften Fit-for-work-Kurs usw. Das sind zwar nette Trainings, um die Leute in Bewegung zu halten, uns Gebäudereinigern bringt das am Arbeitsmarkt aber nichts, denn – das muss man auch mal laut und deutlich sagen – wir bilden ja aus! Wir brauchen das AMS in der Regel nicht, um Reinigungskräfte auszubilden, das tun wir selbst. Wir brauchen nur arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen.

Welches Potenzial bleibt dann aus diesem Pool  für die Reinigungsbranche überhaupt noch übrig?

Krepp: Nach meiner Kenntnis haben wir derzeit beim AMS Österreich 40.000 Menschen, die zur Arbeitslosigkeit geringfügig dazuverdienen. Wenn das fällt, und das ist meine große Hoffnung, dann, denke ich, werden 20.000 Menschen mehr oder weniger darüber nachdenken, mit reeller Arbeit Geld zu verdienen. Diese 20.000 Kräfte würden uns rein theoretisch zur Verfügung stehen. Die Diskussion um diese Zuverdienst-Angelegenheit ist jedenfalls im Werden, und ich bin hoffnungsfroh.

Herr Konetzky?

Konetzky: Mehr kann man dazu auch nicht sagen, es gibt entsprechende Verhandlungen, aber noch keine Ergebnisse.

Schellhorn: Ich bin da nicht so optimistisch, denn ich sehe die politische Konstellation nicht, in der das gelingen kann. Auch mit der vorigen Koalition wäre das nicht gelungen, da waren die Freiheitlichen dagegen, jetzt die Grünen. Und in der nächsten Koalition wird vermutlich die SPÖ dagegen sein, an der Zuverdienstgrenze etwas zu ändern. Hier traut man sich einfach nicht, die eigene Wählerschaft damit zu konfrontieren, dass es möglicherweise besser wäre, in eine mehrstündige Arbeitswoche zu gehen. Und in der jetzigen Koalition sind die Kräfteverhältnisse zwar so, dass die eine Partei dreimal so groß ist wie die andere, aber bei jedem Abtausch ist die kleinere Partei quasi gleich groß. Denn alles, was die größere Partei will, muss abgetauscht werden. Deshalb sehe ich hier einen Stillstand in der Debatte. Ich glaube nicht, dass bei dieser Debatte etwas herauskommt, nicht heuer und auch nicht nächstes Jahr. 

Konetzky: Ich sehe es nicht so negativ wie Herr Schellhorn, wir haben einen Arbeitsminister, der in diesen Dingen ein echter Experte ist und auch einschätzen kann, welche Auswirkungen was hat. Daher kann ich sagen, dass wir an dieser Sache sicher die ganze Legislaturperiode über dranbleiben werden.

Schellhorn: Was aber in den nächsten Monaten, glaube ich, passieren wird, ist, dass sich die wirtschaftliche Lage eintrübt, nach unten geht. Es wird bezüglich AMS wahrscheinlich nicht viel Veränderungen geben, ich glaube nicht, dass die Arbeitslosenzahl stark steigen wird, möglicherweise die Kurzarbeit, aber die offenen Stellen werden zurückgehen, und deshalb wird meiner Meinung nach auch der Druck sinken, beim Thema Geringfügigkeit etwas zu ändern. Druck und Transparenz sind ja die zwei entscheidenden Hebel, das heißt, wenn es keinen Druck gibt, so wie vor Jahren in Deutschland mit 5 Millionen Arbeitslosen, wird von politischer Seite auch nicht viel zu erwarten sein.

In einem Arbeitnehmermarkt bestimmt in der Regel der Lohn den Zugang zum Arbeitsmarkt entscheidend mit. Wäre, wenn der Reinigungsbranche die Arbeitskräfte ausgehen, nicht auch in diesem Fall eine bessere Bezahlung eine Option?

Krepp: Wir haben in der Regel mehr Jahresverträge, unterjährige Erhöhungen bleiben also Wunschdenken. Und es ist auch gar keine Frage des Preises, denn wir Gebäudereiniger zahlen ja schon gut. In der untersten Lohnstufe sind wir fast bei 1.700 Euro. Das war die Forderung der Gewerkschaft im letzten Jahr, die wir schon erfüllt haben. Viele andere in der Sparte Gewerbe und Handwerk kratzen da gerade erst an der 1.500-Euro-Marke. Für unsere angelernten Arbeitskräfte gibt es also fast 1.700 Euro, und das ist keine schlechte Entlohnung. Es ist vielmehr so, dass diese Tätigkeit einfach nicht sehr attraktiv ist, das Nichtarbeiten dagegen, wie hier auch schon eindrucksvoll ausgeführt wurde, sehr „attraktiv“ ist. Es ist nämlich genau das Problem, dass zum Beispiel viele Frauen sagen, wenn sie mehr arbeiten würden, müssten sie auch den Hort zahlen, die rechnen sich das genau aus und bleiben dann lieber zu Hause. Und auch unser Arbeitszeitgesetz und Arbeitsrecht ist nicht mehr zeitgemäß. Das ist ein alter komplexer Zopf, der niemanden dazu motiviert, mehr zu arbeiten. Wir können keinen Mehrarbeitszuschlag von 25 Prozent bezahlen, das tut auch keiner, sondern man entlohnt in Freizeit, und Freizeit haben Teilzeitkräfte ohnehin schon etwas mehr als die anderen, sodass auch das kein Anreiz ist, mehr zu arbeiten. Wir brauchen hier sehr viele Lösungsansätze. Wir brauchen auch längere Durchrechnungszeiten, wie es zum Beispiel die Metaller haben, um Arbeitskräfte tatsächlich in einer Saisonbranche zu binden. Darum kämpfen wir auch schon seit vielen Jahren, und es wird sicher auch dieses Jahr wieder Thema sein. 

Es drängt sich hier das Bild auf, dass sich alles im Kreis dreht. Zum einen steht der Branche von dem großen Arbeitslosen-Pool nur ein geringer Teil tatsächlich zur Verfügung, weil viele doch nicht entsprechend arbeitsfähig sind, zum anderen kann auch nicht mehr Lohn bezahlt werden, weil die Auftraggeber für diese Dienstleistung nicht mehr bezahlen. Wie kommen wir aus dieser Endlosschleife heraus? Gibt es dafür Beispiele in anderen Ländern?

Schellhorn: Man sollte auf die Länder schauen, die vor einigen Jahren ähnliche Themen hatten. Beispiel Dänemark. Dort hatte man Anfang des Jahrtausends 11 – 12 Prozent Arbeitslose und hat dann ein relativ gutes Kombinationsmodell aus Fördern und Fordern geschaffen. Man hat Arbeitsuchende mit Requalifizierungsmaßnahmen stark gefördert und so mehr Dynamik hineingebracht – Requalifizierungsmaßnahmen, die aber auch eine fordernde Komponente hatten. Andere Länder haben es auch über Zuwanderung gelöst. Der Lohndruck wird sowieso steigen. Dementsprechend wird auch der Inflationsdruck hoch bleiben. 

Krepp: Aus meiner Sicht gäbe es noch eine Steuerung, die wir von der Politik fordern, nämlich im Zusammenhang damit, dass die Sozialtransfers sehr hoch sind. Wir hören oft von den Teilzeitkräften: Wenn ich mehr arbeite, bekomme ich das Wohngeld nicht, dann bin ich nicht mehr gebührenbefreit, dann bin oder habe ich dieses und jenes nicht. Auch von dieser Seite  fehlt es an Anreiz zu arbeiten. 

Sandra Kern, AMS: Zum Thema Aktivierung von Arbeitskräften möchte ich auch gewisse Mythen entschärfen. Früher, wenn Arbeitssuchende zu uns gekommen sind, hat man etwas Zeit gehabt, sich zu orientieren. Jetzt ist auch für uns, das AMS, der Druck groß geworden, sofort zu vermitteln. Am ersten Tag der Arbeitslosigkeits-Meldung bekommen die Menschen von uns Vermittlungsvorschläge, wir haben bis jetzt über 600.000 Vermittlungsvorschläge an die Menschen, die bei uns eine Leistung bekommen, versandt, und die müssen sich dann auch bewerben, sonst werden sie sanktioniert und bekommen 6 Wochen keine Leistung. Wir haben uns auch angeschaut – der Durchschnitt von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe in Ihrer Branche sind 750 Euro im Monat – also auch nicht gerade das, wofür ich lieber glücklich und zufrieden zu Hause bleiben würde. Es kommen zwar noch andere Leistungen dazu, aber dass man bei uns weiß Gott wie viel Arbeitslosengeld bekomme, das muss man schon auch relativieren. Und noch kurz zu den Schulungen: Wir schauen uns ganz genau an, mit welchen Schulungen bzw. welchen Ausbildungen wir welchen Arbeitsmarkterfolg haben. So haben wir heuer für nächstes Jahr alles gestrichen, wo wir unter einer gewissen Quote liegen.

Krepp: Das Problem ist, dass unser Beruf „weiblich“ ist. Und wir haben auch politisch bedingt eine Überförderung von Frauen. Ich habe viel dagegen, wenn Gelder ein Mascherl haben. Und wenn ein Geld für das AMS das Frauenmascherl hat, kommt auch nicht immer nur Gutes dabei heraus, denn dieses Geld muss dann ausgeglichen werden. Die Arbeitslosigkeit von Frauen und Männern verteilt sich fifty fifty, warum soll man dann für Frauen mehr Geld ausgeben? Das ist auch nicht fair, aber ein politisches Thema. Auch das trifft uns als Dienstgeber insofern, als wir einen rund 70-prozentigen Frauenanteil haben.

Thema Immigration: Wie viele Zuwandernde würden wir in absehbarer Zeit brauchen und warum suchen wir sie nicht selbst aktiv?

Krepp: Österreich ist das Land mit der höchsten Anerkennung von Asylwerbern in Europa. Gleichzeitig leisten wir uns den Luxus, dass Menschen jahrelang auf eine Anerkennung warten, Leute, die mittlerweile sogar gut Deutsch können, aber wir lassen sie nicht arbeiten. Was für eine dumme Verschwendung! Wir brauchen diese Menschen, damit sie auch in die Sozialversicherung einzahlen. Im Augenblick halten sie nur Transfers, und das ist zu diesem Zeitpunkt falsch. Ich glaube auch, dass die Bevölkerung mit Migranten durchaus gut leben kann, ohne Migranten hätten wir unseren heutigen Wohlstand nicht. Die, die da sind, sollten arbeiten, ihre Arbeitskraft ist das „Gastgeschenk“, das sie mitbringen. Wenn sie in die Sozialversicherung einzahlen, weiß ich nicht, warum es schlechte Migranten sein sollen. Erstmal sollten also die aktiviert werden, die hier sind, und dann müssen wir auch über aktive Zuwanderung nachdenken. Wir brauchen „Jung und Willig“. Es kann auch nicht sein, dass die Leute eine Ausbildung nachweisen müssen, die es gar nicht in allen Ländern so gibt wie bei uns, Beispiel „ReinigungstechnikerIn“ in der bei uns üblichen Qualität. Diese normativen Ausbildungen dürfen nicht alles bestimmen. Jemand, der Erfahrung hat, den entsprechenden Arbeitswillen mitbringt und leidlich Deutsch spricht, sollte mit der Rot-Weiß-Rot-Karte hier arbeiten können. Sie ist etwas verbessert worden, aber für unsere Branche reicht sie leider noch nicht – wir können Reinigungskräfte nicht wie IT-Experten entlohnen. Hier brauchen wir – auch eine politische Forderung – noch eine Nachbesserung. 

Konetzky: Wir haben seit 2015 jetzt wieder eine der größten Flüchtlingswellen, und die Personen, die jetzt nach Österreich kommen, kommen in erster Linie, um unser hochwertiges Sozialsystem zu nützen. Das heißt noch nicht, dass sie nicht fähig wären, hier zu arbeiten, aber der Fokus sollte stärker auf qualifizierte Arbeiter und Fachkräfte gerichtet sein. Früher hat man im EU-Ausland gesucht, die Situation ist in den anderen Mitgliedsstaaten mittlerweile aber nicht besser, sodass man verstärkt nach Drittstaaten die Fühler ausstrecken muss, um qualifizierte, aber auch normale Arbeitskräfte nach Österreich zu bringen.  

Schellhorn: Wir haben in der Vergangenheit ja schon Flüchtlingswellen erlebt, die gut funktioniert haben, wo der Arbeitsmarkt auch wesentlich stärker gefüllt war, ich sage nur „90er Jahre“. Es gab überhaupt kein Problem mit der Zuwanderungswelle aus den Balkanländern. Die Menschen haben sich relativ schnell integriert, alle haben schnell versucht zu arbeiten, da ging es ihnen nicht darum, „ein Superland erreicht“ zu haben. Aber wir müssen schon auch Dingen ins Auge sehen. Auch wenn ich mich in die Nesseln setze, sage ich: Wir haben heute ein kulturelles Problem, das wir vorher nicht hatten. Vor allem einen kulturellen Unterschied zu den arabischen Ländern. Oder Menschen, die aus Afghanistan kommen – die haben überhaupt noch nie gelernt, mit so viel Geld umzugehen. In Afghanistan ist das Pro-Kopf-Einkommen so hoch wie bei uns im Mittelalter. Das ist eine ganz andere Situation. Sie haben hier natürlich auch die falschen Anreize – ein Thema, das wir derzeit nicht in den Griff kriegen. Aber man muss es ganz offen diskutieren. Die früheren Zuwanderungswellen dagegen waren, wie gesagt, überhaupt kein Thema, jetzt sind sie ein großes Thema.  

Krepp: Der Hinweis auf die kulturellen Unterschiede ist ganz wichtig, denn das betrifft gerade uns als Reinigungsbranche. Es würden sehr viele Frauen potentiell zur Verfügung stehen, aber aufgrund ihrer kulturellen Herkunft und des entsprechenden Familienbildes bleiben sie als Frauen zu Hause. Hier hätten wir also auch Potenzial, wenn die Menschen bei der Integrationsarbeit aufgeklärt würden, was wir von ihnen erwarten. Nämlich dass sie nicht zu Hause bleiben, sondern sich einbringen. Viele Frauen sprechen denn auch überhaupt kein Deutsch, nur die Kinder und der Ehemann. Deshalb können wir auch diese Menschen nicht beschäftigen, schließlich haben wir unter anderem auch auf die Arbeitssicherheit zu achten.

Es erscheint so zu sein, dass wir uns alle Auswege aus der Personalkrise selbst blockieren. Gibt es irgendeinen Lösungsansatz?

Schellhorn: Ich glaube schon. Ich gehe davon aus, dass durch die eingeleitete Zinswende der budgetäre Druck wieder größer werden wird. Es hat in den letzten 10 – 14 Jahren eine Zeit gegeben, wo Geld eigentlich keinen Wert mehr hatte. Es war für Politiker völlig absurd, Reformen durchzubringen, denn sie haben sich Geld nur in Frankfurt holen müssen. Jetzt bekommen wir langsam alle die Rechnung, die uns zeigt, dass man sich Wohlstand nicht in den Notenbanken erdrucken kann, sondern dass er erarbeitet, erwirtschaftet werden muss. Und er entsteht immer in den Unternehmen. Der Druck, hier Änderungen herbeizuführen, wird also wieder steigen. Ich wundere mich, dass sich das politisch noch nicht stärker niederschlägt, bei dieser hohen Inflation, bei dieser hohen Zuwanderung. Es wird aber aufgrund des Drucks in den nächsten Jahren sicher wieder ein Thema werden. Die Frage ist nur, ob wir dann die Lösungen parat haben. Schweden und Dänemark, auch Sozialstaaten wie Österreich mit ungefähr der gleichen Steuer- und Abgabenquote wie Österreich, haben nur halb so hohe Staatsschulden wie wir, weil sie in guten Zeiten Überschüsse gemacht haben. Wir in Österreich hingegen haben sozusagen das „konjunkturunabhängige Budgetdefizit“ erfunden. Wenn der Bundeshaushalt, der Budgetplan bis 2026 so hält, dann wird das Bundesbudget seit 1955 siebzigmal im Minus gewesen sein, nur einmal im Plus. Da wird sich vieles ändern müssen, wobei die Frage ist, ob die Bevölkerung bei der Veränderung mitgeht. Nämlich wenn wir der Bevölkerung sagen müssen, dass man nicht mehr mit 60 oder darunter in Pension gehen kann. Das wäre zumutbar, weil sich damit viele Probleme lösen ließen. Wir werden wahrscheinlich auch wieder länger und mehr arbeiten müssen. So ein Schritt zurück ist natürlich schwierig – und vor allem ein „Heimspiel“ für populistische Parteien. 

Auch die Branchen untereinander stehen immer stärker im Wettbewerb um die weniger werdenden Arbeitskräfte. Da stellt sich auch die Frage, ob die Reinigungsbranche immer auf die richtigen Argumente gesetzt hat. Es wurde versucht, generell das Image zu verbessern, aber vielleicht gibt es auch Ideen, welche Vorteilsargumente die Reinigungsbranche für sich selbst herausarbeiten kann, ein sicherer Arbeitsplatz zum Beispiel… 

Krepp: Besser werden können wir immer. Schlauer werden darf man auch. Aber wir können sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze bieten, wir werden gebraucht, tagtäglich, die Gebäudereiniger kommen durch jede Krise mehr oder minder sehr gut durch, wir bilden aus, wir sind Integrationsbetriebe – wir haben also ganz viele Pluspunkte. Nur muss man das auch hören bzw. hören wollen. In Zeiten, wo die Not bei den Dienstnehmern eigentlich nicht gegeben ist, wird unsere Arbeit von vielen Menschen aber eben nicht als besonders sexy gesehen.

Als Lösungsalternative dazu, wie wir den derzeit zur Verfügung stehenden Personen-Pool nutzen können, könnte man fragen, ob die Reinigungsarbeit – auch technisch – effizienter und ergo mit weniger Leuten gestaltet werden könnte. Wobei es natürlich immer eine personalintensive Branche bleiben wird. Gibt es Wege, wie Arbeitskräfte, die man nicht hat, über Effizienz „eingespart“ werden können?

Schellhorn: Effizienzsteigerung wird für unseren Wohlstand in Österreich überlebensnotwendig werden. Wir können unser hohes Wohlstandsniveau nur halten, wenn wir produktiver bzw. effizienter werden. Und das heißt vor allem, wenn wir in Digitalisierung investieren.  

Krepp: Ein weiterer Hebel ist, mit unseren Kunden zu reden. Wenn Arbeitsplätze mit Arbeitszeiten ab 6 Uhr ausgeschrieben werden und niemand möchte um 6 Uhr arbeiten, dann wird man dem Kunden sagen müssen, dass so wie wir auch er seinen Plan ändern muss. Es werden sich alle etwas mehr nach dem Angebot der Mitarbeiter richten müssen, sprich: wenn sich für 6 Uhr niemand findet, sollte es auch halbacht sein können. Hier müssen wir als Dienstgeber auf unsere Kunden entsprechend einwirken und ihnen klar sagen, was noch machbar ist und was nicht mehr. Wir müssen uns miteinander ändern.

Kern: Das kann ich nur unterstreichen, die Arbeitszeiten sind ein ganz großes Thema bei unseren KundInnen. Warum funktioniert es beim einen und beim anderen nicht? Ein Thema ist hier „schnelleres Recruiting“. Es gibt Unternehmen, die dafür sehr lang brauchen – zu lange, als dass sich ein Bewerber nicht für ein anderes an ihm interessiertes Unternehmen entscheiden würde. Das Zweite ist, dass man sich bei immer mehr großen Unternehmen nur mehr online bewerben kann, was gerade für Menschen, die unsere besondere Unterstützung brauchen, ganz schwierig ist – oft Menschen mit seltsamen Lebensläufen, die aber trotzdem gute MitarbeitenInnen werden können. Und es gibt auch Unternehmen, auch Reinigungsunternehmen, die eine sehr gute Erfahrung mit behinderten Menschen gemacht haben. Wir bieten hier einiges, und ich würde bitten, dies auch zu nutzen.

Das Thema Arbeitszeiten führt auch zum Thema Tagreinigung statt geteilter Dienste. Könnte das zu einer besseren Nutzung des Arbeitskräftepotenzials führen?

Krepp: Das AMS, möchte ich noch ergänzen, hat ein ganz tolles Tool, den „eJob-Room“. Jeder Dienstgeber sollte sich dort einloggen. Wir finden dort, zugegeben, nicht die attraktivsten Lebensläufe, aber die brauchen wir auch nicht. Ich gebe auch zu, dass es eine Art „Tiefsee-Perlentauchen“ ist, aber man findet dort immer wieder mal jemanden, der eine ihm aktiv angebotene Chance gerne nutzt. Und wenn Sie Stellen beim AMS ausschreiben, kommt es automatisch auf die Plattform „allejobs.at“, österreichweit – auch ein sehr guter Service vom AMS.

Und zum Thema Tagreinigung: Rein theoretisch ja, aber wir dürfen als „Frauenbranche“ nicht vergessen, dass ganz viele Frauen nicht 40 Stunden arbeiten wollen. Und zum Thema „geteilte Dienste“: Das ist vor allem ein Wien-Spezifikum mit all seinen Ministerien. Ich sehe das österreichweit, in Oberösterreich zum Beispiel haben wir geteilte Dienste relativ selten, wir wissen, dass das noch unattraktiver ist, solche Aufträge nehmen wir in Oberösterreich zum Teil gar nicht an.   

Konetzky: Noch kurz zum Thema effizienterer Personaleinsatz. In der Reinigungsbranche gibt es relativ wenig Lehrlinge. Deshalb mein Appell an die Unternehmen: Nehmen Sie Lehrlinge auf! – einerseits haben wir eine gute duale Ausbildung, andererseits im Sinne einer stärkeren Bindung zum Unternehmen und dadurch auch weniger Fluktuation. In das Thema Effizienz spielt auch die technische Weiterentwicklung bzw. Innovation hinein. Innovation schafft man aber nur wenn man ein entsprechendes Wissen aufgebaut hat, und Wissen und Qualifizierung hängen bekanntlich zusammen. Daher auch mein Appell, für die MitarbeiterInnen entsprechende Weiterbildungen vorzusehen.

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