Auftraggeberhaftung

Jeder muss wissen, was er einkauft

Die so genannte Auftraggeberhaftung (AGH) hat sich als relativ gut funktionierendes Instrument zur Sicherung von Beitragseinnahmen von den betroffenen Branchen etabliert. Ob es ausbaufähig ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Text Hansjörg Preims

Seit 2009 gelten in Österreich bekanntlich die Bestimmungen über die Auftraggeberhaftung. Deren Ziel laut Sozialministerium: „Die Wiederherstellung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt des Baugewerbes sowie die finanzielle Stabilität und die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger durch Sicherstellung der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge der Dienstnehmer im Baubereich.“ 2011 wurde der Begriff der Bauleistungen dann auf die Reinigung von Bauwerken ausgedehnt, sodass in der Folge die Bestimmungen der Auftraggeberhaftung auch auf Reinigungsunternehmen zur Anwendung kamen und kommen.
„Das, was im Gesetz tatsächlich mit dem Namen Auftraggeberhaftung verankert ist, schützt lediglich die Sozialversicherungsbeiträge“, präzisiert Christoph Wiesinger von der WKÖ Geschäftsstelle Bau, Abt. Sozialpolitik. Man habe das aus einem praktischen Grund nur auf die Sozialversicherungsbeiträge beschränkt, „weil es bei diesen eine neutrale Stelle gibt, in diesem Fall den Krankenversicherungsträger, der ganz klar sagen kann, ob Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sind oder nicht.“ Das könne man bei dieser Institution bezüglich eines Auftragnehmers relativ einfach erfragen. „Wenn man das auch auf die Löhne der Arbeitnehmer beziehen würde, müsste man in Wahrheit jeden Arbeitnehmer befragen, was organisatorisch als zu aufwändig gesehen wurde – und was es auch tatsächlich ist“, so Wiesinger. Eben deswegen habe man 2009 die Auftraggeberhaftung auf die Sozialversicherungsbeiträge beschränkt. Und ganz wichtig sei der Wirtschaft damals gewesen: „Wenn so eine Haftung eingeführt wird, muss es auch die Möglichkeit der Haftungsbefreiung geben – das sind die berühmten 25 Prozent, die an das Dienstleistungszentrum-AuftraggeberInnen-Haftung (DLZ-AGH) bezahlt werden.“

„AGH für Löhne wäre äußerst aufwändig“

Bei der Gebietskrankenkasse als öffentliche Institution könne man sicher sein, dass alles, was an Zahlungen dort hin geht, auch auf das Sozialversicherungsbeitragskonto verbucht werde. Wenn man aber eine Auftraggeberhaftung für Löhne einführen möchte, sei das äußerst aufwändig, sagt Wiesinger, „hier wäre keine öffentliche Institution im Spiel, sondern nur drei Private: der Auftraggeber, der Auftragnehmer und der Arbeitnehmer. Diese zu koordinieren, das wäre äußerst umständlich. Und deswegen ist dieses Auftraggeberhaftungssystem in Österreich so eingeführt worden, wie es eben ist.“
Aber wäre es denkbar, die Auftraggeberhaftung auch auf die Endkunden einer Dienstleistung als Auftraggeber auszurollen?“ Wiesinger: „Das System der Auftraggeberhaftung ist derzeit vielleicht 10 Prozent der Gesamtwirtschaft ein Begriff, weil sie damit zu tun haben. Würde man das nun auf alle ausweiten, die eine Bauleistung oder Reinigungsleistung beauftragen, beträfe das wahrscheinlich nahezu 100 Prozent der Wirtschaft. Die müssten alle ihre Systeme umstellen. Am wenigsten Probleme mit der Ausweitung hätten wahrscheinlich die Bauunternehmen, weil sie das System schon kennen und implementiert haben. Aber der Rest der Wirtschaft müsste es erst implementieren. Außerdem würde diese Verzehnfachung des Anwendungsbereichs wohl auch die derzeitigen Systeme der Sozialversicherung technisch überlasten. Ob die Mehrkosten mit dem Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis stehen, kann ich nicht beurteilen.“ Und auch bei der Einführung 2009 habe es einen Riesenaufschrei gegeben – „stark bedingt allerdings auch dadurch, dass es mehr oder weniger über Nacht eingeführt wurde.“ Mittlerweile aber sei das System der Auftraggeberhaftung etabliert „und wir bekommen aus der Praxis keine Beschwerden zu hören“, so Wiesinger.

Reinigung ist „anders“

Gerhard Komarek
Gerhard Komarek

Gerhard Komarek, Wiener DFG-Landesinnungsmeister und Bundesberufsgruppensprecher, kann dem Gedanken, die Auftraggeberhaftung auf die Endkunden einer Reinigungsdienstleistung auszuweiten, angesichts der Preissituation in der Reinigung durchaus etwas abgewinnen, allerdings: „Einer der größten Auftraggeber in Österreich ist der Bund, und ich glaube nicht, dass die Regierung einverstanden ist, dass der Bund gesetzlich für alle Aufträge, die er vergibt, auch haftet.“ Und in der Privatwirtschaft gebe es eine solche Auftraggeberhaftung leider auch nicht – „leider deswegen, weil ja jedem klar sein müsste, dass irgendwas nicht stimmt, wenn er eine Reinigungsstunde um unter 17 Euro einkauft.“ Jedem sei zum Beispiel klar: „Wenn er ein ganz billiges Produkt kauft, ist irgendwo ein Haken, und wenn dieses Produkt auch noch Unmögliches leisten soll – spätestens dann weiß jedermann, dass er angelogen wird. Das ist in der Reinigungsdienstleistung nicht so.“ Hier werde vom Auftraggeber eine Stunde um 16 Euro eingekauft und man freue sich über den billigen Einkauf – „auch wenn von den 10 Stunden, die sie kaufen, vielleicht nur 8 Stunden geleistet werden, was den Dienstleister auch wieder auf 20 Euro pro Stunde bringt, und das dann mit einer Marge von 25 Prozent“, so Komarek. Im Endeffekt müsse aber jeder wissen, was er einkauft.
Spätestens im Schadensfall gebe es allerdings sehr wohl auch eine Haftung für den Auftraggeber – „wenn nämlich nach einem Unfall oder Schaden nachgewiesen wird, dass auch der Auftraggeber hätte wissen müssen, dass so etwas passieren kann“, spricht Komarek einen weiteren Haftungsaspekt an. Hier sehe die ÖNORM D 2050 einen Schutz vor Überforderung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor: Werden hier die Quadratmeter-Leistungen überschritten, könne dies zu einer Haftung führen. Als klassisches Beispiel in der Reinigung könnte Komarek sich dazu vorstellen, „dass ein Mitarbeiter beim Hantieren mit einem Sanitärreiniger im Sanitärbereich jemandem, der gerade den Waschraum benutzt, unabsichtlich ins Gesicht spritzt, und dass das deswegen passiert ist, weil die Reinigungskraft sich extrem beeilen musste bzw. weniger Zeit für diese Arbeit zur Verfügung hatte, als sie eigentlich gebraucht hätte. Und wenn man dann draufkommt, dass somit auch die Quadratmeterleistungen nicht eingehalten wurden, hätte es dem Kunden eigentlich auch auffallen müssen, dass dieser Preis, diese Zeit nicht ausreicht.“ Spätestens dann gerate der Kunde oder Auftraggeber sehr wohl in die Haftung.

Plausibilitätskontrolle „eigentlich Sache des Auftraggebers“

Was jedenfalls auch im Bereich Reinigung gilt, ist das so genannte Reverse Charge System. Steht ein Subunternehmen auf der sog. HFU-Liste (Liste der haftungsfreistellenden Unternehmen), ist es kein Problem, ihm die ganze Rechnung, die er stellt, zu überweisen. „Steht er aber nicht auf dieser HFU-Liste, darf man ihm bekanntlich nur 75 Prozent seiner Rechnung überweisen, 25 Prozent der Sozialversicherung und 20 Prozent an das Finanzamt auf das Konto des Dienstleisters. Tut man das nicht und der Subunternehmer verursacht einen Schaden, oder wenn es Regressansprüche gibt, ist man für den Subunternehmer haftbar, nämlich nicht nur im Ausmaß von dem, was er für einen macht, sondern was er in seiner ganzen Firma macht“, erklärt Komarek. Deswegen habe sich das seinerzeit natürlich auch bei den ganzen Einzelunternehmern, die es gab, ausgewirkt: „Speziell im Hausbetreuungsbereich wurden vielfach so genannte EPUs beschäftigt, die dann irgendwann gemerkt haben, dass sie mit dem, was sie verrechneten und auch kassierten, unterm Strich nicht mehr auskamen, wenn ihr Auftraggeber 25 Prozent an die Sozialversicherung zahlte bzw. Mehrwertsteuer an das Finanzamt und dann nur 75 Prozent übrig geblieben sind. Und wenn einem nur 75 Prozent übrig bleiben, weiß die Steuerbehörde natürlich genau, was er umgesetzt hat, und fordert von den 75 Prozent dann auch noch die Körperschaftssteuer.“ Das, so Komarek, habe damals dazu geführt, dass sich plötzlich im Bereich der Hausbetreuung die Preise erhöht hätten. Nämlich in allen Bereichen. „Das war auch die Ursache dieser Auftraggeberhaftung, die es dort gab. Und einen ähnlichen Effekt könnte es geben, wenn es die Auftraggeberhaftung für alle gäbe.“ Er, Komarek, glaube, „dass dann auch jeder, der einen Auftrag vergibt, zumindest im Vorfeld alles abklären würde und draufkäme, was augenscheinlich nicht gesetzeskonform ist.“
Mittlerweile kontrolliere in Wien sogar die Finanzpolizei und auch die Beitragprüfungsstelle der WGKK auch Leistungswerte, „also nicht nur, ob jemand angemeldet ist, ob er überhaupt eine Arbeitsgenehmigung und einen Aufenthaltstitel in Österreich hat, sondern auch Leistungswerte.“ Die Finanzpolizei lasse sich vom Kunden, vom Dienstleister oder vom Auftraggeber auch Pläne geben, rechne diese dann laut ÖNORM D 2050 um und schaue, wie viel Quadratmeter dort vorhanden sind in den unterschiedlichsten Gruppen und welchen monatlichen Stundenanzahlbedarf das ergibt. Diese Plausibilitätskontrolle würden jetzt also auch schon die Finanzpolizei und die WGKK machen – „etwas, das eigentlich der Auftraggeber machen sollte, damit er auf der sicheren Seite ist und im Schadensfall auch keine Regressansprüche hat, die er hätte vermeiden können, wenn er sich vorher entsprechend gekümmert bzw. auf Plausibilität kontrolliert hätte“, sagt Komarek.

Franz Kurz
Franz Kurz

Die Finanzpolizei betrachtet das Instrument der Auftraggeberhaftung übrigens eher mit Skepsis. Franz Kurz, Regionaler Leiter der Finanzpolizei  Wien: „Grundsätzlich geht es um die Sicherstellung der Abgabenansprüche sowie  fairer Wettbewerbsverhältnisse. Das geht am besten, wenn es praxisnahe und effiziente Regelungen gibt, die von der Wirtschaft und der Verwaltung ohne überbordende Bürokratie umgesetzt werden können. Ob die Auftraggeberhaftung diesen Ansprüchen in der Praxis bestmöglich gerecht wird, wird von vielen Seiten bezweifelt. Ich meine, da gäbe es durchaus andere Möglichkeiten, die sich bereits in anderen Branchen bewährt haben. 25 Prozent bezahlt der Auftraggeber als Sicherstellung auf ein Depot ein, um im Falle des Falles bei Steuer- und Abgabenrückständen darauf zugreifen zu können.“

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