RT-204

„Der öffentliche Dienst kauft der Wirtschaft die Arbeitskräfte weg“

Vortrag von Mag. Gerald Loacker, ehem. Abgeordneter zum NR und Geschäftsführer der Unternehmensberatung BWI, im Rahmen des Reinigungstags zum Thema „Entbürokratisierung“.

Vor wenigen Wochen hat es eine neue Regulierung für die Namen von veganen Würsten gegeben. Ich weiß nicht, ob da der sog. EU-Omnibus (*) in die richtige Richtung fährt. Und wenn man sich anschaut, wer in Österreich sich als Gesprächspartner um diese Omnibuspakete kümmert, dann landet man bei der Abteilung Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht im Wirtschafts- und Energieministerium, nicht, wie man vielleicht vermutet hätte, beim Staatssekretariat für Deregulierung im Außenministerium. Trotzdem sieht es so aus, als wäre die Idee, die Aufgabe der Deregulierung und Entbürokratisierung einer Stelle zu übertragen, momentan ein bisschen Mode. Die Salzburger Landesregierung hat zusätzlich zu dem Staatssekretariat, das wir jetzt haben, ein Deregulierungsteam eingerichtet. Und die Landeshauptfrau hat uns wissen lassen, dass das Verfahren beschleunigen und Bürokratie abbauen soll. Und die Vorarlberger Landesregierung lässt es nicht bei einem Deregulierungsteam bewenden, die hat gleich eine ganze Entbürokratisierungsstelle mit zehn Mitarbeitern eingerichtet, als Stabsstelle direkt bei der Landesregierung. Wenn die Bundesländer so weitermachen, dann brauchen wir demnächst eine Koordinationsstelle für die Entbürokratisierungsbüros der Bundesländer.

Wenn die Bundesländer so weitermachen, brauchen wir eine Koordinations-stelle für die Entbürokratisierungsbüros
der Bundesländer.

Aber im Ernst jetzt. Warum ist es so schwierig zu entbürokratisieren? Woher kommt das? Die letzte Bundesregierung, die schwarz-grüne, die ja auch gesagt hat, wir sparen im System, nicht bei den Menschen, hat in Summe 4700 Dienstposten im Bund aufgebaut. 4700 – das ist ungefähr so viel wie Altenmarkt im Pongau Einwohner hat oder Moosburg in Kärnten. Und jetzt könnten Sie mir entgegenhalten, dass das sicher Lehrer und Polizisten seien. Und ich sage Ihnen: Ja auch,  aber bei weitem nicht nur. Das Bundesbudget gliedert sich in 58 Untergliederungen, und jedes Jahr kommt bei fast jeder dieser 58 etwas dazu. Zwei da, fünf da, drei da, sieben da, noch einer dort, und dort noch einmal vier. Es ist immer nur ein bisschen, jedes Jahr ein bisschen, und in Summe 58 Untergliederungen mal fünf Regierungsjahre haben dann eben 4700 Dienstposten gegeben. Und man hat immer einen guten Grund: weil man ein Projekt macht, für Langzeitarbeitslose braucht das AMS mehr Mitarbeiter, und in der Forschung dürfen wir nicht zurückfalle, daher braucht die Forschungsabteilung im Ministerium mehr Mitarbeiter, und wir machen ein Projekt für Menschen mit Behinderung, daher braucht das Sozialministerium mehr Mitarbeiter. Es gibt immer einen guten Grund und die Menschen haben gute Ideen und man kann ganz viel Gutes tun. Nur der Apparat wächst halt laufend. 

Der Anteil des öffentlichen Dienstes an der Gesamtbeschäftigung wächst

So läuft das, weil der Bildungssprecher will mehr Lehrer und die Justizsprecherin will mehr Richter, und der Sportsprecher will mehr Sportförderung. Und der Kultursprecher will mehr Kulturförderung, und Förderung muss natürlich immer administriert werden. Das hat ja alles eine Logik. Das kommt ja alles irgendwoher und nicht nur im Bund. In jedem Bundesland wachsen auch die Ämter der Landesregierung. Sie können das schön in ihrem jeweiligen Heimatbundesland beobachten. Interessanterweise im Westen stärker in den letzten Jahren als im Osten. Und die Gemeindeämter wachsen auch. Ich habe mit einem Bürgermeister einer 2000 Seelen Gemeinde gesprochen, er war dort zuerst Gemeindeamtsleiter und jetzt ist er seit zehn Jahren Bürgermeister. Der sagt, als er dort angefangen hat, seien sie im Rathaus zu dritt gewesen, in der Zwischenzeit hätten sie das Gemeindemuseum ausgelagert und noch einen Betrieb, aber sie seien jetzt zu zwölft. Von drei auf zwölf in 15 Jahren. Das zeigt die Entwicklung. Und Sie, die Unternehmen, bekommen wahrscheinlich auch oft schwer gute Mitarbeiter. Der Anteil des öffentlichen Dienstes an der Gesamtbeschäftigung wächst. Der öffentliche Dienst kauft der Wirtschaft die Arbeitskräfte weg. Und seien wir uns ehrlich: Wenn eine Reinigungskraft sich aussuchen könnte, ob sie im Amt direkt angestellt werden kann oder bei einer privaten Firma, könnte es sein, dass sie ins Amt geht, weil die Jobsicherheit höher ist. Weil sie dort keine Maschinen und Anlagen putzen muss, sondern nur Büros. Sie hat dort einen Vorteil. Und das, was man früher gesagt hat, nämlich dass man im öffentlichen Dienst weniger verdiene, dafür habe man eine höhere Jobsicherheit – das stimmt heute nicht mehr. Der öffentliche Dienst zahlt inzwischen über alle Hierarchiestufen wirklich super und absolut konkurrenzfähig zur Wirtschaft.

Solche Strukturen wachsen aus unterschiedlichen Gründen. Wir haben historisch gewachsene Strukturen, die wir durchfüttern. Wir haben Machtstrukturen, die aus gezielter Machtüberlegung entstanden sind. Und wir haben Kompetenzverschränkungen von Bund, Ländern, Gemeinden und EU, die zusätzliche Bürokratie erfordern. Menschen füllen ihren Arbeitstag. Das sehen Sie vielleicht auch in Ihren Unternehmen. Wenn Sie jemandem acht Stunden Zeit geben für eine Arbeit, dann braucht er acht Stunden, auch wenn die Arbeit in vier Stunden machbar wäre. Sie haben ihm acht gegeben. Da ist niemand böse.

Zusätzliche Dienstposten bedeuten zusätzliche Regulierung und Bürokratie

So funktionieren die Leute. Jetzt hat man Leute in ihren Tintenburgen sitzen, in Ministerien und Behörden, die ihren Arbeitstag füllen – und die haben Ideen, zum Beispiel welche Statistik wir von ihnen noch einfordern könnten. Die haben Ideen, was man noch genauer machen könnte, weil sie auch Zeit haben, solche Ideen zu entwickeln. Zusätzliche Dienstposten lösen zusätzliche Regulierung und Bürokratie aus. Ein Beispiel für so gewachsene Strukturen sind die drei Register, in denen wir unsere Einwohner erfassen. Wir haben ein Melderegister, wo Sie ihren Wohnsitz gemeldet haben. Wir haben aber auch ein Personenstandsregister, wo die Geburten, die Todesfälle, die Eheschließungen, die Namensänderungen verzeichnet sind, separat. Und wir haben noch einmal separat die Wählerevidenz. Die ersten zwei unterhält das Innenministerium, die Wählerevidenz machen die Gemeinden. Den Vorschlag, die drei zusammenzulegen zu einem Verzeichnis aller Bürger, den sehen sie gar nicht, weil dann müsste man sich ja die Folgefrage stellen, was man mit den Leuten macht, die man dann nicht mehr braucht. Und das ist eine Frage, die sich der öffentliche Dienst nicht stellt. Und was wir für die Bürgerinnen und Bürger haben, haben wir auch für die Unternehmen. Wir haben ein Register der Finanzverwaltung mit Steuernummer, wir haben ein Gewerberegister und wir haben ein Firmenbuch, Firmenbuchnummern. Man hat immer einen Haufen Nummern, Sie sind immer mehrfach registriert. Und das ist natürlich alles super wichtig. Und überall sitzt eine Bürokratie dahinter, die das alles administriert. Und dann werden auch die Prozesse kompliziert, denn dann muss ja der eine mit dem anderen korrespondieren. Und in manchen Rechtsthemen führt das dann so weit, dass nur noch Experten zum Ziel kommen.

Wer aus einem Drittland kommt, hat keine Chance, so einen österreichischen bürokratischen Prozess zu verstehen.

„Franz Kafka hätte es nicht besser erfinden können“

Eines meiner Lieblingsbeispiele ist die Rot-Weiß-Rot-Karte für Drittstaatsangehörige. Kein einfaches Thema, aber es geht um Arbeitsmarktthemen, das macht das AMS, und dann geht es um diese niederlassungsrechtlichen Zuwanderungsthemen, die das Innenministerium macht, für das Innenministerium die Bezirksverwaltungsbehörde, und die zwei müssen miteinander korrespondieren. Und das passiert noch in Papierform. Es soll digitalisiert werden, heißt es, aber noch gehen die Papierakten hin und her. Dadurch ist es schon mal langsam, logisch, zwei Behörden. Und wenn Sie aus einem Drittland kommen, haben sie überhaupt keine Chance, so einen österreichischen bürokratischen Prozess zu verstehen. Keine Chance. Das ist aus dem Unternehmen heraus schon schwierig, weil Sie ja nicht jede Woche eine Rot-Weiß-Rot-Karte beantragen. Und jetzt ist eine großartige Idee entwickelt worden: Weil viele Unternehmen mit diesem Verfahren mit den zwei Behörden Probleme haben, hat man eine dritte Stelle eingerichtet, die Ihnen hilft. Ich finde es absurd, aber es ist tatsächlich so – Sie können zur Austrian Business Agency gehen und sagen, „ich brauch eine Rot-Weiß-Rot-Karte, bitte helfen Sie mir im Verfahren mit dem AMS und dem Magistrat.“ Das hätte Franz Kafka nicht besser erfinden können, nämlich weil es mit den zwei Behörden so kompliziert ist, eine dritte einrichten, die Ihnen hilft. Auf die Idee, dass man das vielleicht bei einer Behörde zusammenziehen könnte, ist offensichtlich keiner gekommen.

Die „Herrschaft der Verwaltung“

Bürokratie kann aber auch ein Machtspiel sein. Ich bringe Ihnen ein Beispiel für „Herrschaft der Verwaltung“. Es geht um Macht. Als der Klimabonus eingeführt wurde, hätte man den eigentlich zum Finanzministerium geben können, weil das Finanzministerium es gewohnt ist, Ein- und Auszahlungen zu administrieren. Bürger zahlen Steuern, Bürger bekommen Förderungen, bekommen eine Rückzahlung, das Finanzministerium kann das. Aber es war ein grünes Projekt und so musste die grüne Ministerin die Herrin über die Geschichte sein. Also hat man das ins Klimaministerium gegeben – Verkehr, Infrastruktur und Umweltagenden, die aber gar nicht diesen täglichen Zahlungsverkehr mit Einzelpersonen haben. Also musste man im Klimaministerium eine eigene Bürokratie aufbauen, um den Klimabonus auszahlen zu können. Auf der Buchungszeile, wenn Sie das bekommen haben, musste draufstehen „vom BMK“. Und dann kam noch dazu: Weil man einem Österreicher offenbar nicht zumuten kann, dass er, wenn er Geld vom Staat will, eine Kontonummer anmeldet, musste man parallel eine Gutscheinlösung einführen. Diese Gutscheine konnte man dann beim Postamt einlösen. Die Postbediensteten wiederum hatten so viel Arbeit damit, dass man ihnen als Kompensation für die viele Arbeit eine Prämie hat zahlen müssen.

Nun können Sie sagen, aber der Klimabonus sei ja abgeschafft worden. Stimmt, aber die Mitarbeiter im Klimaministerium, die ihn administriert haben, sind natürlich noch da, weil man sie im öffentlichen Dienst nicht kündigen kann. Hingegen Sie, wenn Sie den Auftrag für ein großes Gebäude verlieren, das Sie betreut haben, müssen Sie sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen vielleicht von Mitarbeitern trennen. Der öffentliche Dienst tickt nicht so, für die findet man schon ein Büro, wo sie dann irgendwas machen.

„Es ginge, nur bei uns nicht“

Nächster Punkt: Optimierungen. Wenn Sie als Unternehmer Entscheidungen treffen, überlegen Sie vielleicht, wie Sie dieselbe Arbeit mit weniger Personal bewältigen. Sie schaffen sich einen Scheuersaugautomaten an, damit können Sie große Garagenflächen oder lange Gänge automatisiert reinigen. Und das Personal, das bisher eine Maschine „schiebend“ tätig war, muss nur noch Sichtreinigung oder Detailreinigung machen. Und vielleicht können Sie Nachtstunden nutzen, die Sie vorher nicht nutzen konnten. Und Sie kalkulieren Nebeneffekte ein wie gleichbleibende Qualität. Sie haben dann auch eine automatische Protokollierung in dem Gerät, haben Auslastung, Batteriestatus und alles automatisiert. Der öffentliche Sektor funktioniert nicht so. Schauen Sie zum Beispiel auf den Arbeitsmarkt. Wir haben heute eine Arbeitslosigkeit, die ungefähr so hoch ist wie 2012. Das AMS hat heute aber um 1/3 mehr Mitarbeiter als 2012. Dabei würde man doch meinen, in den vergangenen 13 Jahren hätten Digitalisierungsschritte stattfinden können, so dass man leichter offene Jobs und Stellensuchende managt, dass man die Daten leichter erfasst, dass man Berufe kategorisiert und das schneller zusammenführt und dass man vielleicht mit weniger Mitarbeitern gleich viele Arbeitsuchende betreut. Nein, 1/3 mehr, weil natürlich die Arbeitslosigkeit schwankt. Dann, wenn wieder einmal mehr Arbeitslosigkeit ist, kommen zusätzliche Mitarbeiter, die dann, wenn die Arbeitslosigkeit wieder sinkt, nicht gehen, sondern bleiben. Und beim nächsten Steigen der Arbeitslosigkeit kommen wieder zusätzliche Mitarbeiter.

Das muss nicht so sein, in der Schweiz ist es nicht so. Die Regionale Arbeitsmarktverwaltung (RAV) in der Schweiz bekommt die Mitarbeiterausstattung schwankend mit der Arbeitslosigkeit. Und wenn diese niedrig ist, sind in der RAV auch weniger Mitarbeiter, die Arbeitsuchende betreuen. Es würde schon gehen, aber bei uns halt nicht.

„Ein politisches Spiel auf Zuruf“

Tatsächlich ist es ein politisches Spiel, nämlich auf Zuruf. Wir müssen etwas machen für die Langzeitarbeitslosen, es kommen Leute ins AMS, wir müssen etwas machen für die Menschen mit Behinderung, es kommen Leute ins AMS, und das gleiche ist bei der Polizei – Thema Sicherheit: Der Boulevard jagt die Politiker vor sich her, die Polizeigewerkschaft sagt, sie braucht mehr Personal, verängstigte Bürger schreiben Mails – und dann bekommen wir mehr Polizei. Wir haben in Österreich, auf die Einwohnerzahl gerechnet, 40 Prozent mehr Polizisten als die Schweiz. Das zahlen wir alle. Aber wir sind immer input-orientiert, sprich: Mehr Polizisten ist gleich mehr Sicherheit, mehr Spitäler ist gleich mehr Gesundheit, mehr Lehrer ist gleich mehr Bildung. Input-orientiert. Schaut jemand den Output an? Haben wir weniger Kriminalität als die Schweiz? Oder haben wir vielleicht gleich viel Kriminalität, klären sie aber besser auf, weil wir 40 Prozent mehr Polizisten haben? Ich behaupte nein. Wir erinnern uns an die Regierung, die gesagt hat, wir hätten so viel Geld ausgegeben wie keine andere in Europa. Ja, aber was haben wir damit erreicht? Das ist doch die Frage. Was ist das Ergebnis? Da nehme ich auch die Journalisten in die Verantwortung – und auch die Bürgerinnen und Bürger, die nicht die Frage stellen: „Was habt ihr mit dem Geld erreicht?“ Wenn Sie ein Faltfahrrad kaufen und bekommen dafür 600 Euro Förderung, dann wüsste ich gern, wie viel Tonnen CO2 pro investierten Euro wir da eingespart haben. Das sind Fragen, die Sie von der Politik nicht beantwortet bekommen, weil sie natürlich auch zu selten gestellt werden.

Unsere heutige Arbeits-losigkeit ist ungefähr so hoch wie 2012, das AMS hat heute aber um 1/3 mehr Mitarbeiter als 2012.

Bürokratie und Föderalismus

Dann kommt noch das Thema Bürokratie und Föderalismus. Auch da gibt es Hunderte Beispiele. Ich bringe Ihnen nur eins aus den Schulen: Es kann einen Sinn haben, föderal zu agieren, die Pflichtschulen sind Ländersache, da ist die Verwaltung vor Ort, man kennt die Gegebenheiten, man weiß, in welchem Dorf es eine Volksschule braucht und wo nicht. Alles gut und recht. Und die weiterführenden Schulen, die mittleren und höheren, sind Bundessache. Aber die weiterführenden land- und forstwirtschaftlichen Schulen – davon gibt es 83 – sind Ländersache. Also müssen neun Bundesländer, die sich mit mittleren und höheren Schulen nicht auskennen, jeweils eigene Strukturen aufbauen, um mittlere und höhere Schulen für Land- und Forstwirtschaft zu betreuen. Wo natürlich auch Fachleute sitzen, Akademiker, die auch entsprechend viel kosten.

„Es hilft nichts, nur nach Brüssel zu zeigen“

An diesen Beispielen sehen Sie auch: Es hilft nichts, sich darauf auszureden, dass die Bürokratie aus Brüssel kommt. Ganz viel Unfug machen wir selbst bzw. könnten wir vor Ort, in Österreich, bereinigen, ohne nach Brüssel zu zeigen. Aber Reformen tun weh. Die Bürokratie zurückzubauen bedeutet, die Herrschaft der Verwaltung zu beschneiden. Und der Herrschende lässt sich nicht gern beschneiden, schon gar nicht macht er das selbst. Da braucht es ein bisschen Druck. Das betrifft Postenvergaben, je größer das Amt ist, umso mehr Stellen können vergeben werden, man kann dort Parteigänger versorgen. Wir können auch in die Sozialversicherung schauen, weil man da schöne internationale Vergleiche hat. Schweden hat ungefähr gleich viele Einwohner wie Österreich, die schwedische Pensionsversicherung hat 1600 Beschäftigte, die österreichische Pensionsversicherung hat 7001 Beschäftigte. 1600 zu 7000 – das ist doch abenteuerlich. Aber wir brauchen natürlich für jeden schwarzen Abteilungsleiter einen roten. Das ist heute immer noch so. Die Stellvertreter haben jeweils die andere Farbe. Die haben eigene Sekretärinnen. Das ist noch so wie vor 30 Jahren. Sozialversicherung ist Selbstverwaltung. Da sind 50 % Arbeiter-Kämmerer und 50 % Wirtschafts-Kämmerer drin. Und die teilen sich den Laden auf. Und wir zahlen das alle.

Bei der ÖGK, mit der Sie auch jeden Tag zu tun haben, ist es ähnlich. Allein, dass die ÖGK nach der Fusion der neuen Länderkassen mehr Mitarbeiter hatte als die neuen Länderkassen vorher, zeigt ja schon, dass das nicht funktioniert. Wenn von Ihnen zwei Firmen fusionieren, sind nachher nicht mehr Leute als vorher, in der ersten Woche schon nicht mehr. Und dann kommen noch Anreize dazu. Wenn Sie im öffentlichen Sektor arbeiten und sind dort Abteilungsleiterin oder Abteilungsleiter, dann haben Sie ein höheres Gehalt, wenn Sie mehr Mitarbeiter haben. Es ist nicht in jedem Bundesland genau gleich, bei den einen ist der Schritt bei fünf, bei den anderen bei zehn, in der Sozialversicherung gibt es einen Schritt bei fünf Mitarbeitern und einen weiteren bei neun.

„Es geht um Personalhoheit und Entscheidungsgewalt“

Nun ist es nicht so, dass der Abteilungsleiter, der acht Mitarbeiter hat, versucht, eine Gehaltserhöhung zu bekommen, weil er so super Leistung bringt – so funktioniert der öffentliche Dienst nicht –, sondern der will zwei Mitarbeiter mehr haben, denn wenn er zehn hat, steigt er eine Gehaltsklasse höher. Deshalb hat er Interesse, mehr Leute zu bekommen. Bei Ihnen im Unternehmen dagegen würden Sie den Abteilungsleiter belobigen, der sagen würde, der Herr Müller geht in Pension, wir schaffen das auch zu fünft, er braucht keinen Sechsten mehr oder es reicht ihm eine halbe Kraft, weil das und das digitalisiert wurde. So funktioniert ein Unternehmen, aber nicht das öffentliche System. Es geht also um Personalhoheit, um Entscheidungsgewalt und manchmal auch um Informationsvorsprung.

Als ich in die Politik gekommen bin, habe ich geglaubt, wenn wir denen das Geld abdrehen, müssten sie sparen. Das zu glauben, war eine Fehleinschätzung von mir. Und dann ist die kalte Progression abgeschafft worden. Und weil man nicht sparen kann, hatten wir auf einmal ein Riesen-Budgetloch gehabt. Weil diese ganze Logik aufgebaut war auf die ständig steigenden Einnahmen.

Aber wir haben eben falsche Anreize. Um zu den Lösungen zu kommen, die wir angehen müssten: Wir müssen die Anreize umdrehen. Ich muss dem Abteilungsleiter sagen, wenn du eine Einsparung lukrierst, bekommst du die Einsparung des nächsten Jahres oder der nächsten zwei Jahre zu einem Drittel für dich und dein Team. Und 1/3 verwenden wir für neue Ideen, die gibt es ja auch immer. Und das dritte Drittel ist dann eine Einsparung. Die Kanadier haben das Anfang der 90er Jahre so gemacht. Der Minister durfte 1/3 für seine super Ideen verwenden, 1/3 war Steuersenkung und 1/3 war Einsparung im Budget. Und so haben die das Budget saniert.

Wir dürfen sie nicht davonkommen lassen mit schönen Reden, wir müssen sie beim Versprechen packen.

„Wir müssen die Anreiz umdrehen“

Wir müssen überlegen: Was ist der Anreiz? Wenn von dem, das einer einspart, ihm etwas bleibt, dann haben wir den richtigen Anreiz. Also müssten das öffentliche Dienstrecht umdrehen und nicht sagen, wenn du mehr Mitarbeiter hast, kriegst du mehr Geld, sondern „wenn du die gleiche Arbeit mit weniger Mitarbeitern schaffst, bekommst du auch eine Honorierung.“

Und dann braucht es äußere Zwänge. Wie oft müssen Sie einer Behörde Informationen schicken, die schon eine andere Behörde hat oder die vielleicht diese Behörde schon hat? Nach einem österreichischen Ökonomen, der in Bayern unterrichtet, müsste sagen, wenn Daten schon bei einer Behörde sind, kann niemand mehr verpflichtet werden, sie noch einmal abzugeben. Dann müssen sich die vernetzen und schauen, wie sie ihre eigenen Datenflüsse zusammenkriegen. Wenn ich der ÖGK etwas schon geschickt habe, sollte es die Pensionsversicherung bei mir nicht noch einmal anfragen können. Dann liegt der Ball bei denen. Man muss da den Spieß umdrehen, damit diese Institutionen an ihren Prozessen arbeiten müssen und ihre Silos, die sie heute haben, auflösen müssen. Wenn bei Ihnen eine Mitarbeiterin bei der Pensionsversicherung um eine Invaliditätspension ansucht, kriegt die Pensionsversicherung nicht die Krankenakten von der ÖGK, sondern dann werden alle Untersuchungen noch einmal gemacht, weil die nicht miteinander reden. Da lassen wir unglaublich Meter und Geld liegen.

„Resignation darf nicht gewinnen“

Und dann kommt noch etwas, und das müssen Sie tun, so wie Sie hier sitzen. Wenn Ihre Mitgliedervertretung, Ihr Verbandspräsident, der Präsident der Industriellenvereinigung oder der Generalsekretär zum Politiker sagt, das und das müsste gemacht werden, kommt in der Regel zurück: „Ich glaube, so schlimm ist es gar nicht, ich war im Betrieb XY, habe mit jemandem geredet und das hat nicht so schlimm geklungen.“ Bitte, Sie müssen den Politikern, denen Sie begegnen, direkt sagen, was nicht passt. Ich habe so oft erlebt, dass die Bürgerinnen und Bürger schimpfen, aber wenn der Herr Landeshauptmann hereinkommt, sagt man nur, „schön, dass sie da sind.“ Sie müssen dem sagen, „du hast das und das versprochen hat, das musst du jetzt auch machen.“

Das ist eine Verantwortung, die wir alle haben. Wir dürfen sie nicht davonkommen lassen mit schönen Reden, wir müssen sie beim Versprechen packen. Das ist zwar nicht die Patentlösung, aber das ist ein Teil, wie wir das in den Griff bekommen. Tatsache ist heute in Österreich, dass die Politiker ganz viel mit schönem Reden davonkommen. Und viele von uns haben resigniert. Diese Resignation darf aber nicht gewinnen. Denn sonst gewinnt die Herrschaft der Verwaltung, und dem wollen wir uns nicht unterwerfen. Danke schön!

(*) Mit dem sog. Omnibus-Paket der Europäischen Union sollen wichtige Regelungen für Unternehmen mit Blick auf Nachhaltigkeit und Lieferketten effizienter gestaltet werden.

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