FREIER MARKT ODER ABSCHOTTUNG?

Zum Nachdenken von Christian Wolfsberg

Da haben wir’s schon. Auf America First folgt Austria First.
Auf den ersten Blick erscheint das neumodische reflexhafte America First wie auch das Austria First als eine ganz natürliche normale Sache. Aber ob das auch dem zweiten Blick standhält, darf und sollte hinterfragt werden. Ist das nicht alles zu billig und einfach? Um was geht’s?

Laut der eben veröffentlichten und präsentierten Studie der KMU (kleine und mittlere Unternehmen) Forschung Austria (s.S. 6) entging 2015 dem Staate Österreich aufgrund von geschätzten 150.000 entsendeten Arbeitskräften etwa 1,5 Milliarden € an Abgaben und erhöhtem Arbeitslosengeld. „Educated guessing“ (Deutsch etwa: sachlich begründete Schätzungen) nennt man das. Ob die geschätzten 150.000 entsendeten Arbeitskräfte und die dadurch entgangenen geschätzten 1,5 Milliarden Euro nun rechnerisch stimmen oder nicht, grundsätzlich wird schon einiges davon wahr sein. Der Ansatz der sachlich begründeten Schätzungen trifft zu, ob die hochgerechneten Ergebnisse numerisch richtig sind oder nicht. Aber sind es auch die daraus zu folgenden Schlüsse? Die da lauten könnten: Austria First – ausländische Arbeitskräfte raus, Inländische rein!
An dieser Stelle sollten die Leser dieser Zeitung – allesamt Unternehmer oder leitende Mitarbeiter – die billigen schnellen Schlussfolgerungen etwas hinterfragen und und selbst etwas „educated thinking“ betreiben. Quasi: Studie ansehen, grundsätzlich auf die Plausibilität hin überprüfen und mit eigenen Erfahrungen vergleichen, um  dann ausgewogene Schlussfolgerungen zu ziehen.

Erster zu überprüfender Gedanke: Ist die Reinigungsbranche von dieser Entsendung betroffen bzw. vielleicht sogar besonders betroffen? Ja, vermutlich schon. Aber: Die Zahl der entsendeten Personen sowie die Höhe der theoretisch entgangenen Abgaben bzw. der dadurch entstandenen höheren Arbeitslosenzahlungen sind zu hinterfragen. Und: Fürs Erste sind diese Zahlen gar nicht so wichtig, denn es geht zuerst um Grundsätzliches.
Zweitens sind diese Entsendeten ja nicht aufs Geratewohl gekommen, sondern befriedigen eine klar vorhandene Nachfrage. Kurz: es sind österreichische Unternehmen, die diese – ja, deutlich günstigere – Dienstleistung konsumieren und ergo davon profitieren. Dieser Profit kommt den österreichischen Unternehmen zugute, ergo uns allen. Das ist kein versteckter Gewinn. Der Einkauf einer günstigeren Dienstleistung führt nämlich zu erhöhter Produktivität und besseren Wettbewerbschancen.
Drittens: Könnte es nicht sein, dass einfach die Lohnkosten in Österreich viel zu hoch sind und deswegen entsendete Dienstleistungen so attraktiv sind? Anders herum: Wäre die Entsendung verboten, würde das keineswegs bedeuten, dass dann die Dienstleistungen durch einheimische Unternehmen erbracht werden würden, oder im gleichen Ausmaß, und schon gar nicht, dass sich dann die Arbeitslosenzahl verringern würde.
Bei dieser Studie, wie auch bei jedem Ansatz von Austria First geht es um Grundsätzliches. Es geht um eine Abwägung.

Diese Abwägung ist recht simpel: Wollen Österreichs Unternehmer einen abgeschotteten, stark regelmentierten Heimmarkt oder einen offenen, freien, den internationalen Entwicklungen stärker ausgesetzten europäischen Markt? Freiheit oder Enge?


wolfsberg@reinigung-aktuell.at


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